Liesel Christ Biographie: Umfrage

Hinter dem Vorhang

Eva Demski *
 

Es war wohl das letzte Mal, dass wir uns sahen, aber das weiß man ja immer erst hinterher. Selten kommt es vor, dass da eine Ahnung ist: Aber an diesem Abend – nichts davon. Es war eine Hessen 3-Live-Sendung, in einer schönen Gartenkneipe hatten sie das übliche Fernsehstudiodurcheinander angerichtet, und alle waren nervös. Eigentlich war’s zu kühl zum Draußensitzen, aber das sahen ein paar zähe Freiluftanbeter anders: So auch Liesel Christ und ich. Sie kam ein bisschen später, der Tisch, an den uns die zappeligen Aufnahmeleiter befohlen hatten, war schon gut besetzt. Liesel hatte ein schickes, aber irgendwie nostalgisch aussehendes Kleid an, was Enges mit Blümchen und um die Beine flatterndem Rock, erinnere ich mich. Es war ein richtiger Bühnenauftritt, mit ihren Katzenaugen musterte sie kühl das Auditorium, ob’s auch lohnte. Das Kleid? sagte sie kokett, ach Gott, des hab isch schon dreißisch Jahr. Passt immer noch! Wir waren alle beeindruckt und warfen mit Komplimenten nach ihr wie mit Blumen. Wolfgang [Kaus] stand dabei und guckte wohlwollend, wie einer, der die Qualität einer ihm längst bekannten Inszenierung überprüft. Die Sendung nahm ihren Lauf, mit dem üblichen Tout Francfort, das ja unweigerlich etwas dörflich daherkommt, Pater Amandus und Frau Höhl und eben wir und viele andere. Wir – Liesel und ich – unterhielten uns über früher, über Hesselbach und Wolf Schmidt und meinen Vater und noch so viele, die alle nicht mehr lebten. Vom Ablauf der Sendung kriegten wir nicht viel mit, spielten eben unser Röllchen und wandten uns dann wieder den alten Zeiten zu. Sie und ich wussten, wie viel Hirnschmalz, Phantasie und Intelligenz damals der sogenannten Unterhaltung gewidmet wurde.

Unvermittelt sagte sie: Schöne Beine hab ich noch, gell?
Und da dachte ich vielleicht zum erstenmal, ob man ihr oder sie sich selber nicht schon ziemlich früh etwas weggenommen hatte – die Mamma bedeckte sie, versteckte sie, wie ein undurchdringlicher Vorhang. Sie war doch auch eine femme fatale, ein Vamp – aber wo hatte sie das gelassen? Wie ein Gebirge stand vor der Frau die Mamma.

Schöne Beine hab ich noch, gell? Ich hätte heulen können.
Dann war die Sendung endlich aus, man ging ins Lokal, draußen war’s endgültig kalt geworden. Und dann kam das schönste, ich weiß nicht mehr, wer angefangen hat: Wir, ein Tisch mit einem Dutzend Menschen aller Altersstufen, haben gesungen, querbeet, was uns grade einfiel, laut und schön. Es war eine unglaubliche Stimmung, es war wie früher. Liesel war die einzige, die von allen Liedern die Texte konnte – auch von den linken!

Spät, sehr spät in der Nacht, marschierten wir aus der Kneipe, natürlich singend: Wir sind vom K. und K.-Infanterieregiment, Hoch- und Deutschmeister Numero vier… – es fanden sich ein paar Polizisten ein – aber als sie sahen, wer da sang, waren sie ganz begeistert.

Ja, da habe ich sie zum letzten Mal gesehen.

* Die Schriftstellerin Eva Demski hat eine verwandtschaftliche Beziehung zu den „Hesselbachs“: Ihr Vater Rudolf Küfner gestaltete dafür Bühnenbilder und Kostüme. Als die Christ sich damals erfolgreich „gegen das Kittelschürzenklischee“ wehrte, sagte er anerkennend: „Das Mütterchen hat Krallen!“

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