Liesel Christ Biographie: Umfrage

Das goldige Mädche

Ernst Nebhut *
 

Das goldige Mädche ist eine Frau. Doch man hat immer das Gefühl, es mit dem echteste Frankfurter Mädche zu tun zu haben. Es handelt sich um Liesel Christ, den Star des Volkstheaters. Star? Wie sich das anhört! Bei so einem natürlichen Menschenkind. Und bei dem Ensemble! Bei dem geht es doch so familiär zu, dass für Stars kein Platz ist. Das war schon so, als sich die Akteure zusammenfanden. Wie Leute, die in die Antarktis wollen und nur über einen Sommermantel verfügen. Aber schließlich spielen sie für die Frankfurter. Die müssten ihnen doch helfen. Oder sollen sie woanders um milde Gaben bitten? Wenn man Liesel Christ am Telefon nach den Finanzen fragt, kriegt man zu hören: „Wir kommen mit dem Geld gerade herum.“ Das würde man auch gern glauben. Nur hört man sie dann ein bisschen durch das Telefon stöhnen.

Das Volkstheater hat allerdings verwegene Ambitionen. Es will zeigen, dass das Dasein nicht restlos zum Kotzen ist. Das kleine Bühnchen sollte sich mal an den Großen ein Beispiel neh­men. Wie die sich Mühe geben, um zu beweisen, dass wir auf einem Dreckhaufen leben. Auf dem sich aber manche Menschen wohlzufühlen scheinen. Und dann fließt auf der Volkstheaterbühne viel zu wenig Blut. Ein paar Leichen kann man ja für sein Eintrittsgeld verlangen.

Das Christ-Theater hat sich außerdem in seiner Verblendung vorgenommen, die Leute zum Lachen zu bringen. Dem geht die große Konkurrenz geschickt aus dem Weg. Lebens­freude gilt ja bühnenoffiziell als eine vermottete und überflüssige Ungezogenheit. Wo würde man damit die Alpträume in der Nacht nach einem Theaterbesuch hernehmen?

Das Wort von der goldigen Frankfurterin hätte für die Christ erfunden werden können. Sie singt auch. Das will an sich nichts heißen. Wessen Name einmal in der Zeitung gestanden hat, sollte sich auch als Musikidiot zum Singen verpflichtet fühlen. Warum nicht auch Fassadenkletterer und Flugzeugentführer? Was Liesel Christ singt, sind Liebeserklärungen an ihre Heimatstadt. Hubert Wolf hat eine so innige Musik dazu geschrieben, als würde er aus der Klappergasse stammen.

Das Publikum der Christ ist selig, wenn ein waschechtes Frankfurter Wort über die Rampe geht. Wie lang haben die Leute das nicht gehört? Irgendeine Oma hat das immer gesagt. Und wenn das laut wird, ist die ganze Welt wieder in Ordnung. Das finden auch manche Neubürger. Zwölf Jahre bereits in Frankfurt. Die springen jedem an den Hals, der behauptet, sie würden nicht frankfurterisch verstehen. Auch wenn sie aus Breslau oder Schneidemühl kommen.

* Der 1974 verstorbene Schriftsteller Ernst Nebhut war anfangs der Hausautor des Volkstheaters. Mit dem Volksmusical „Zur scheene Fraa“ (1971), dessen Titelrolle er Liesel Christ auf den Leib schrieb, bescherte er der Bühne ihren ersten großen Erfolg.

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