Reiches Dekor und groteske Fratzen

Eigentlich bevorzugten Frankfurter Bauherren im ausgehenden 19. Jahrhundert die Neorenaissance. Diese Ausprägung des Historismus genügte in ihrer eher klassischen Eleganz dem bürgerlichen Repräsentationsbedürfnis. Nur wenige liebten es üppiger und entschieden sich für den Neobarock, der dann deutlich verschwenderischer und verspielter ausfiel als sein Vorbild. Der originale Barock zeigte sich in Frankfurt meist schlicht.

Mietshaus im Neobarock
Direkt gegenüber dem Städel steht das Mietshaus im Stil des Neobarock, Foto: Wolfgang Faust

Eines der opulentesten Mietshäuser des Neobarock hat sich am Untermainkai 29-30, direkt am Flussufer gegenüber dem Städelmuseum, erhalten. Das noble Doppelhaus wurde für den Maler und Weißbinder Ludwig Grüder nach einem Entwurf der Architekten Ludwig Neher und Aage von Kauffmann im Jahre 1894 errichtet. Seine Fassade aus gelbem Sandstein ist einerseits streng axial ausgerichtet und andererseits plastisch vollkommen durchgestaltet. Die Mittelachse wird in der Senkrechten durch Portal, Erker und das bizarre Zwerchhaus, den Aufbau auf dem Dach, betont und von zwei Seitenvorsprüngen flankiert. In der Horizontalen ist die Mitte durch ein breites Balkonband im zweiten Stock hervorgehoben. Die heute leicht veränderte Dachlandschaft wurde einst noch von barocken Vasen auf den Giebeln gekrönt.

Das reiche Dekor der Fassade greift viele weitere typische Formen und Motive aus dem Barock auf. Der Erker wird von einem Atlanten und einer Karyatide, zwei architektonischen Stützen in Gestalt eines menschlichen Paares, getragen. Zwischen Blumen, Blättern und Muscheln, die auch als Girlanden über den Fenstern drapiert sind, schauen da und dort Löwen und Widder hervor, und die Schlusssteine der Portal- und Fensterbögen sind oft groteske Fratzenköpfe. Kurios muten die verschnörkelten Volutenkonsolen unter der Balkonbrüstung an: Sie sind zwar traditionell gerollt wie eine Schnecke, aber zugleich geschuppt wie ein Fisch.

Sabine Hock

Frankfurter Rundschau, Immobilienbeilage, Kolumne „Baustile in Hessen“ vom 10.04.2010

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