Die Mainstadt war sein „comfortable place“

Vor 150 Jahren ist Arthur Schopenhauer in Frankfurt gestorben

Seit 1833 bis zu seinem Tod am 21. September 1860 lebte Arthur Schopenhauer in Frankfurt, das er einmal als „den eigentlichen Mittelpunkt von Europa“ bezeichnete. Die Stadt, die auch das Schopenhauer-Archiv beherbergt, würdigt den Philosophen zu seinem 150. Todestag mit einer Ausstellung im Institut für Stadtgeschichte und einem großen Begleitprogramm.

Frankfurt am Main (pia) Der Philosoph überließ nichts dem Zufall. Als Arthur Schopenhauer im Sommer 1831 vor der Cholera aus Berlin floh, zog er bewusst nach Frankfurt, das als „cholerafest“ galt. Wegen eines alten, wieder ausgebrochenen Leidens hielt er sich in der Mainstadt allerdings zumeist im Bett auf. Nach knapp einem Jahr übersiedelte er nach Mannheim, wo er sich schon einmal von ähnlichen gesundheitlichen Problemen erholt hatte. Nach seiner Genesung wog er dann die Vor- und Nachteile beider Städte sorgsam gegeneinander ab, in einer Aufstellung, die er in englischer Sprache auf dem Deckel eines Rechnungsbuchs notierte. Zu Frankfurts Vorzügen zählte er: „Gesundes Klima. Schöne Gegend. Annehmlichkeiten großer Städte. Abwechslung großer Städte. Besseres Lesezimmer. Das Naturhistorische Museum. Besseres Schauspiel, Oper und Concerte. Mehr Engländer. Bessere Kaffeehäuser. Kein schlechtes Wasser. Die Senckenbergische Bibliothek. Keine Überschwemmungen. Weniger beobachtet. Die Freundlichkeit des Platzes und seiner ganzen Umgebung. (…) Ein geschickter Zahnarzt und weniger schlechte Ärzte. Keine so unerträgliche Hitze im Sommer. Das Physikalische Kabinet.“

Unabhängiges Dasein als Privatgelehrter

Schopenhauer hatte seinen „comfortable place“ gefunden: Im Juli 1833 ließ er sich dauerhaft in Frankfurt nieder. Bis zu seinem Tod am 21. September 1860 hat er die Stadt, die er einmal als „den eigentlichen Mittelpunkt von Europa“ bezeichnete, kaum noch verlassen. Aufgrund seines ererbten Vermögens konnte er es sich leisten, ein unabhängiges Dasein als Privatgelehrter zu führen, und – wie er selbst sagte – „als Einsiedler, ganz und gar nur mit meinen Studien und Arbeiten beschäftigt“, zu leben. So schuf er in seiner Frankfurter Zeit den ergänzenden zweiten Band zu seinem Hauptwerk „Die Welt als Wille und Vorstellung“ (1844) und sein populär gewordenes letztes Werk „Parerga und Paralipomena“ („Nebenwerke und Zurückgebliebenes“, 1851). Der Philosoph erlebte den beginnenden Aufstieg zum Weltruhm und scharte allmählich einen Kreis von „Jüngern“, „Evangelisten“ und „Aposteln“, wie er seine Anhänger nannte, um sich.

Ein Pudel namens Atma

Von der eigentlichen Frankfurter „Gesellschaft“ hielt sich Schopenhauer jedoch fern, und die städtischen Zeitgenossen quittierten es dem selbstbewussten Gelehrten, indem sie ihn zum menschenfeindlichen Sonderling abstempelten, über den bald unzählige Anekdoten kursierten. Wie Schopenhauer mit seinem Pudel namens Atma („Weltseele“) eiligen Schrittes vor den Toren der Stadt spazierte und dabei wild gestikulierend Selbstgespräche führte, hat sogar Wilhelm Busch gezeichnet, und der Lokalpoet Friedrich Stoltze erzählt, wie er nach einer Unstimmigkeit zwischen seinem und Schopenhauers Hund in seinem Garten auf dem Röderberg in einen – ganz und gar nicht philosophischen – Disput mit dem hohen Herrn geriet.

Ein Tagesablauf nach festem Muster

Im historischen Rückblick bietet sich heute ein differenzierteres Bild von Schopenhauer, seiner Persönlichkeit und seinem Leben in Frankfurt. Der Philosoph hatte seinen Tagesablauf nach einem festen Muster geregelt: von den strikt eingehaltenen Arbeitsstunden am Morgen über das Flötespielen, die Mahlzeiten in den Gasthäusern, die Spaziergänge mit dem Pudel vor den Toren und das sommerliche Bad im Main bis hin zum Schlafen im ungeheizten Zimmer. Andererseits schätzte er das freie Leben in der weltoffenen Handelsstadt am Main, deren kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen – wie die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft, den Physikalischen Verein, die Stadtbibliothek und das Städelsche Kunstinstitut – er rege nutzte. Er las im Lesekabinett der Casinogesellschaft die „Times“ und deutsche Literaturzeitschriften, trat später auch der Lesegesellschaft des 1848 gegründeten Bürgervereins bei, ging gern ins Theater, besonders zu Opernaufführungen, und besuchte regelmäßig die Konzerte der Museumsgesellschaft, deren Mitglied er bereits seit 1836 war.

Sein Testament legte den Grundstock für das Schopenhauer-Archiv

In seinen ersten Frankfurter Jahren hatte Schopenhauer häufiger die Unterkunft gewechselt, bis er im März 1843 eine angenehme Wohnung in der Schönen Aussicht 17, direkt am Mainufer, gefunden hatte. Nach einem Streit mit dem Hausherrn wegen des Pudels Atma zog der mittlerweile 71-Jährige im Sommer 1859 noch einmal um, allerdings nur ein Haus weiter, in die Nummer 16. Nach nur einem Jahr in der neuen Wohnung ist Arthur Schopenhauer gestorben. Mit seinem Testament legte er selbst den Grundstock für ein „Schopenhauer-Archiv“ in Frankfurt, indem er der Stadtbibliothek sieben Daguerreotypien, frühe fotografische Aufnahmen, die der Frankfurter Mechanikus Johann Wilhelm Albert1 von ihm angefertigt hatte, vermachte.

Ein geplantes Museum wurde Opfer der Bombennacht im März 1944

Seitdem fühlte sich die Bibliothek dem Ruf Frankfurts als „Schopenhauer-Stadt" verpflichtet, sammelte systematisch „Schopenhaueriana“. Als nach dem Ersten Weltkrieg die 1911 in Kiel gegründete „Schopenhauer-Gesellschaft“ mit ihrem Archiv nach Frankfurt kam, vereinigten Gesellschaft und Stadtbibliothek ihre Sammlungen 1921 zum „Schopenhauer-Archiv“. Der Traum vom repräsentativen „Schopenhauer-Museum“ im Sterbehaus des Philosophen erfüllte sich jedoch nicht. Das Museum war weitgehend eingerichtet, als das Haus an der Schönen Aussicht 16 in der Bombennacht vom 22. März 1944 völlig zerstört wurde. Etwa die Hälfte der inzwischen dort aufbewahrten Archivbestände und Museumsstücke, darunter Schopenhauers Bett und seine Nachtmütze2, sind damals verbrannt. Die andere Hälfte befindet sich heute im Archivzentrum der Universitätsbibliothek, die inzwischen das Schopenhauer-Archiv beherbergt. Es ist die wichtigste Quelle für Schopenhauers Leben und Wirken, nicht nur für die Gedächtnisausstellung, die jetzt zum 150. Todestag des Philosophen in Frankfurt eröffnet wird, sondern auch für Wissenschaftler und „Schopenhauer-Fans“ aus aller Welt.

Sabine Hock

„Was die Welt bewegt – Arthur Schopenhauer in Frankfurt“, eine Ausstellung des Instituts für Stadtgeschichte in Kooperation mit der Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg und der Schopenhauer-Gesellschaft e. V. zum 150. Todestag des Philosophen, im Karmeliterkloster, Münzgasse 9, vom 22.9.2010 bis 30.1.2011. Geöffnet: Mo.-Fr. 10-18 Uhr, Sa.-So. 11-18 Uhr. Eintritt: fünf Euro, ermäßigt 2,50 Euro. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog; außerdem wird ein umfangreiches Begleitprogramm, u. a. mit einem Internationalen Kongress vom 22. bis 24. September, veranstaltet.

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 14.09.2010

1 Nach neueren Forschungen wurden diese Daguerreotypien nicht von Johann Valentin Albert (1774-1856), sondern von dessen Sohn Johann Wilhelm Albert (1807-1887) aufgenommen. Vgl. dazu den Artikel über Johann Wilhelm Albert von Eberhard Mayer-Wegelin im Frankfurter Personenlexikon.

2 Hier irrt die Verfasserin. Wenigstens Schopenhauers Nachtmütze blieb erhalten. In der erwähnten Frankfurter Ausstellung des Instituts für Stadtgeschichte zum 150. Todestag des Philosophen 2010 konnte sie (natürlich die Mütze, nicht die Verfasserin!) besichtigt werden.

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