Der Wissenschaftler im Schwurgericht

Vor 150 Jahren wurde der Frankfurter Gerichtschemiker Georg Popp geboren

Seine Kollegen nannten ihn „den Jäger“ und meinten damit nicht nur seine Begeisterung für die Jagd. Die naturwissenschaftlichen Analysen des Chemikers Georg Popp überführten in Indizienprozessen so manchen Mörder. Mit seinen neuartigen Untersuchungsverfahren wurde der Frankfurter Wissenschaftler zu einem der Begründer der modernen Kriminalistik.

Frankfurt am Main (pia) Ohne den Gerichtschemiker wäre der Giftmörder wohl nie aufgeflogen. Am 14. April 1913 wurde der Fechtmeister Karl Hopf verhaftet, nachdem er gerade seine Frau Walli im Diakonissenkrankenhaus besucht hatte. Der behandelnde Arzt hatte Verdacht geschöpft, dass Hopf versucht haben könnte, seine Frau zu vergiften, und die Polizei verständigt. Schon zur Durchsuchung von Hopfs Wohnung am selben Tag wurde der Gerichtschemiker Dr. Georg Popp bestellt: Zusammen mit den Kriminalbeamten entdeckte er ein ganzes Laboratorium voller schwerer Gifte und tödlicher Bazillenkulturen, die „Hopf’sche Pandorabüchse“, die ganz Frankfurt hätte ausrotten können, wie der Frankfurter General-Anzeiger entsetzt berichtete. In früheren Jahren hatte Hopf vermutlich bereits seine Eltern, seine erste und seine zweite Ehefrau sowie seine beiden Kinder ermordet, um sich dadurch vorzeitig in den Besitz der Erbschaft bzw. hoher Lebensversicherungssummen zu bringen.

Die Verhandlung glich einem gerichtsmedizinischem Kolloquium

Bei den folgenden Untersuchungen der Opfer in seinem chemischen Laboratorium fand Popp eindeutig Arsen. Dabei gelang es ihm erstmals, auch in der Asche eines Verstorbenen, nämlich der feuerbestatteten Mutter, den Gehalt dieses Gifts nachzuweisen und zu bestimmen. Die wissenschaftlichen Methoden, die der Chemiker anwandte, waren so neuartig, dass er sie im Prozess gegen Hopf vor dem Frankfurter Schwurgericht im Januar 1914 selbst vor Sachverständigen immer wieder erläutern und verteidigen musste. So glich die Verhandlung zeitweise eher einem gerichtsmedizinischen Kolloquium. Doch dem Angeklagten nützte es nichts, auch wenn er den Arsengehalt seiner verstorbenen Angehörigen mit den merkwürdigsten Erklärungen rechtfertigte, etwa dass der Vater eben zu viel Offenbacher Wasser getrunken und seine erste Frau eine Schönheitskur mit Arsenpillen gemacht habe. Karl Hopf wurde zum Tode verurteilt – in dem wohl weltweit ersten Indizienprozess, in dem es einem Gerichtschemiker gelungen war, aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Analysen einen Giftmörder zu überführen.

Leidenschaft für forensische Chemie und Toxikologie

Vor 150 Jahren, am 31. Juli 1861, wurde Georg Popp in Frankfurt geboren. Nach dem Abitur an der Wöhlerschule studierte der Sohn eines Textilkaufmanns Chemie, Physik, Geologie und Mineralogie. Nach kurzer Tätigkeit im Laboratorium Fresenius in Wiesbaden ließ er sich 1889 als öffentlicher Chemiker in seiner Heimatstadt nieder. Zunächst beschäftigte er sich in seinem analytischen Laboratorium insbesondere mit der Nahrungsmittelchemie und -kontrolle. Um die Jahrhundertwende, als süddeutsche Kriminalpolizeistellen ihn mit der Untersuchung giftverdächtiger Substanzen beauftragten, erwachte seine Leidenschaft für forensische Chemie und Toxikologie. Mit seinem später „Institut für gerichtliche Chemie und Mikroskopie“ genannten Labor in einem Hinterhaus im Frankfurter Westend spezialisierte er sich auf chemische, toxikologische und andere naturwissenschaftliche Untersuchungen für kriminalistische Zwecke. Bis die Kriminalpolizei ab 1911 eigene naturwissenschaftliche Laboratorien einzurichten begann, leisteten Gerichtschemiker wie Popp die ganze Arbeit auf diesem Gebiet.

Ein Fingerabdruck führte zum Mörder des Klavierhändlers

Als einer der Begründer der naturwissenschaftlichen Kriminalistik nutzte Georg Popp schon früh vielfältige Gebiete und Methoden für seine Untersuchungen: Toxikologie, Serologie, Geologie, Fotografie, Spektroskopie, Mikroskopie, Ballistik und Explosionstechnik, wofür er sich die Grundlagen während seines breit angelegten Studiums angeeignet hatte. Als einer der ersten beschäftigte sich Georg Popp mit der Daktyloskopie. Bei der Auswertung von Fingerspuren lieferte er allerdings im aufsehenerregenden Fall des Klavierhändlers Hermann Richard Lichtenstein, der am 26. Februar 1904 in seinen Geschäftsräumen auf der Zeil brutal ermordet und ausgeraubt worden war, zunächst eine verhängnisvolle Fehleinschätzung. Der Mörder hatte einen blutigen Fingerabdruck am Hemdkragen des Opfers hinterlassen, den Popp sofort am Tatort begutachtete und – einer Frau zuwies. Trotz dieser falschen Fährte kam der ermittelnde Kommissar auf die Spur der Täter, des Möbelträgers Bruno Groß und dessen Komplizen Friedrich Stafforst. Zur Überführung der beiden trug Popp dann wieder wesentlich bei. Den fraglichen Fingerabdruck konnte er nun zweifelsfrei Groß zuordnen. Im Prozess gegen die beiden Raubmörder im Mai 1904 wurde somit erstmals in der Frankfurter Justizgeschichte eine Fingerspur als Beweismittel zugelassen. Bei seinem Auftritt vor Gericht musste Popp, wohl nicht zuletzt angesichts seines eigenen anfänglichen Irrtums, zwar eingestehen, dass das Verfahren zur Sicherung und Auswertung von Fingerabdrücken noch nicht ganz ausgereift sei. Aber er prophezeite der Daktyloskopie eine große kriminalistische Zukunft.

„Der Jäger“ wurde Professor an der Frankfurter Universität

Eine besondere Spezialität von Popp wurde die forensische Geologie. Die vergleichende Analyse von Boden- und Pflanzenproben vom Tatort mit entsprechenden Spuren an Kleidung und Schuhen der Verdächtigen setzte er wohl erstmals im Fall der erdrosselten Eva Disch im Herbst 1904 erfolgreich in den Ermittlungen ein. Am Institut für Rechtsmedizin, das bei Gründung der Frankfurter Universität 1914 eingerichtet wurde, erhielt der erfahrene Gerichtschemiker 1919 einen Lehrauftrag, 1924 eine Honorarprofessur für gerichtliche Chemie und Kriminalistik. In Kollegenkreisen wurde er, wegen seiner Jagdleidenschaft im doppelten Sinne, nur „der Jäger“ genannt. Auf einer Jagdhütte in Urberach im Rodgau ist Georg Popp am 15. Februar 1943 gestorben. Ein literarisches Denkmal setzte ihm jüngst die Kommissarin und Autorin Nikola Hahn in ihrem historischen Kriminalroman „Die Farbe von Kristall“, in dem sie Popp in seinen beiden spektakulärsten Frankfurter Fällen – Lichtenstein und Hopf – auftreten lässt.

Sabine Hock

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 28.07.2011

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