Vom Viehmarkt zur Einkaufsmeile

Auf Frankfurts „Zeil“ bleibt niemals etwas wie es ist

Sie ist laut einer aktuellen Analyse Deutschlands Einkaufsstraße mit dem höchsten Passantenaufkommen. Die Zeil hat im Laufe der Jahrhunderte stets ihr Gesicht gewandelt. Im Mittelalter ein Viehmarkt, reiht sich heute hier Kaufhaus an Kaufhaus. Jetzt bereitet das Planungsamt ein „lifting“ des Straßenraums vor und hat dafür einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben.

Frankfurt am Main (pia) Im Jahr 1710 wurde im Gasthaus zum Weidenhof auf der Zeil dem Wirtsehepaar ein Sohn namens Johann Caspar Goethe geboren, dessen Sohn wiederum der größte deutsche Dichter werden sollte. Im Jahr 1848 logierte im Haus Mozart, das an der Stelle des 1843 abgerissenen Weidenhofs errichtet worden war, der Paulskirchenabgeordnete Felix Fürst von Lichnowsky, der während des Septemberaufstands in jenem Jahr von der empörten Volksmenge auf der Bornheimer Heide totgeschlagen wurde. Im Jahr 1904 eröffnete in einem Neubau, dem das Haus Mozart hatte weichen müssen, die Firma Frank & Baer ein Warenhaus, das den Grundstock für den heutigen Kaufhof bildete.

So wechselvoll wie die Geschichte dieses Anwesens ist auch die Historie der Straße, in der es liegt. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die Zeil vom Viehmarkt zur Prachtstraße und schließlich zur Einkaufsmeile gewandelt. Vor hundert Jahren, zum Ende des Jahres 1900, wurde Frankfurts erstes modernes Großkaufhaus, das Warenhaus Schmoller (an der Stelle des heutigen Hertie), auf der Zeil eröffnet. Heute reiht sich Kaufhaus an Kaufhaus, Geschäft an Geschäft. Zu Spitzenzeiten, etwa am Samstagnachmittag, eilen stündlich bis zu 21.200 Menschen über die etwa 450 Meter lange Fußgängerzone. Damit ist die Zeil Deutschlands Einkaufsstraße mit dem höchsten Passantenaufkommen, wie aus einer Frequenzanalyse der Blumenauer Immobilien Holding vom September 2000 hervorgeht.

Auch im Mittelalter wurde auf dem Gebiet der heutigen Zeil, das damals vor den Stadtmauern lag, gehandelt - allerdings mit Ochsen, Schweinen, Schafen und Kleinvieh. Es befand sich hier nämlich der städtische Viehmarkt. Im 18. Jahrhunderte wandelte sich dann der Charakter der Zeil vollständig: Der ursprünglich landwirtschaftlich geprägte Bezirk entwickelte sich innerhalb weniger Jahrzehnte zur prächtigen Wohn- und Geschäftsstraße, die die Zeitgenossen gegenüber der engen mittelalterlichen Altstadt als großzügigen Boulevard empfinden mussten. Auf der Zeil standen nun die repräsentativen Stadtpalais des Großbürgertums und die vornehmsten Hotels der Stadt, etwa das Rote Haus, der Römische Kaiser und der Russische Hof, wo seinerzeit Könige und Fürsten abzusteigen pflegten. „Niemand wird dieser Zeile von Palästen seine Bewunderung versagen können“, so verheißt das „Handbuch für Reisende auf dem Maine“ von 1843. „Was der Erfindungsgeist unseres industriellen Jahrhunderts für den Luxus nur immer geschaffen hat, finden wir hier in glänzenden, nicht selten prächtigen Läden zur Schau gestellt. Schlösser, wahre Fürstenwohnungen, sind zur Aufnahme der Fremden bereit.“

Doch schon knapp 50 Jahre später fanden Touristen immer seltener den Weg in die Innenstadt, sondern sie nahmen lieber Quartier in den Grandhotels, die direkt rund um den neu errichteten Hauptbahnhof entstanden waren. Die alten Hotelpaläste auf der Zeil hatten ausgedient. So wurde im Frühjahr 1900 der Römische Kaiser abgerissen und an seiner Stelle das erste moderne Großkaufhaus, das Warenhaus Schmoller, errichtet. Schlag auf Schlag siedelten sich weitere Kaufhäuser in der Straße an, etwa der Grand Bazar (später Hansa), Frank & Baer, M. Schneider und Wronker. Seitdem bleibt auf der Zeil erst recht nichts mehr, wie es ist. Im Wettbewerb um die Gunst der Kunden gestalten die ansässigen Geschäfte ihre Häuser immer attraktiver, passen ihre Läden alle paar Jahre wieder dem veränderten Zeitgeschmack an. In den nach der Kriegszerstörung wiedererstandenen Bauten der Wirtschaftswunderzeit wäre heute kein Blumentopf mehr zu verkaufen. So musste auch das Traditionshaus M. Schneider vor zwei Jahren schließen. Erst kürzlich wurde der Kaufhof, der sein kriegszerstörtes Haus 1950 als das modernste Kaufhaus Europas wiedererrichtet, seitdem aber schon wieder mehrfach aus- und umgebaut hat, in eine „Galleria“ verwandelt. Prompt kontert Hertie, einst mit 21.000 qm Verkaufsfläche als das größte Kaufhaus im Rhein-Main-Gebiet eröffnet (1965) und seitdem öfter weiter vergrößert, und kündigt für die nächsten zwei Jahre einen mindestens 65 Millionen Mark teuren Umbau an, der „auf der Zeil alles in den Schatten stellen“ soll. Demnächst sollen außerdem an der Stelle des leerstehenden Hauptpostgebäudes, ähnlich wie in der 1992 eröffneten Zeilgalerie »Les Facettes«, neue Konzepte für den Einzelhandel verwirklicht werden.

Aber auch der Straßenraum der Zeil selbst soll jetzt aufpoliert werden, denn die mit dem U- und S-Bahn-Bau 1983 abgeschlossene Gestaltung der Fußgängerzone als „Baumzeil“ ist etwas in die Jahre gekommen. So sind die Sitzbänke rund um die Platanen verwittert, die Leuchten bestrahlen eigentlich nur die Baumkronen, und die Erfrischungspavillons erfüllen ganz und gar nicht mehr die Erwartungen an eine moderne Gastronomie. Auch die beiden Plätze im Westen und Osten der Fußgängerzone, die Hauptwache mit ihrem kraterartigen Abgang zur B-Ebene und die Konstablerwache mit ihrem betonierten Podest, sind zunehmend in die Kritik geraten. Künftig sollen die bis zu 60.000 Menschen, die täglich die Zeil als bequeme Ost-West-Fußgängerverbindung in der Innenstadt nutzen, hier nicht nur vorbeihasten, sondern auch gern ein bisschen verweilen. Deshalb hat das Dezernat für Planung, Sicherheit und Wirtschaft in diesem Jahr einen städtebaulichen Ideenwettbewerb zur Neugestaltung der Zeil ausgelobt. Zehn Architektur- und Planungsbüros haben inzwischen ihre Beiträge eingereicht. Am 15. Dezember wird das Preisgericht darüber entscheiden. Im Januar nächsten Jahres werden dann sämtliche Wettbewerbsbeiträge in einer öffentlichen Ausstellung im Palais Thurn und Taxis zu sehen sein.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 50 vom 12.12.2000

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