Gemüsekirche mit Eierschalengewölbe

Die Frankfurter Großmarkthalle galt einst als „Wunderwerk der Technik“

Am 31. Dezember 2003 wird hier zum letzten Mal mit Obst und Gemüse gehandelt: Auf dem Areal der 1928 eingeweihten Frankfurter Großmarkthalle wird die Europäische Zentralbank ab 2004/05 mit dem Bau ihrer neuen Zentrale beginnen. Die denkmalgeschützte Halle war mit ihrer bestechenden Funktionalität ein Wahrzeichen des „Neuen Frankfurt“.

Frankfurt am Main (pia) Stolz präsentierte Frankfurt seine neue Großmarkthalle der Welt. Mit einem der größten städtischen Empfänge wurde der imposante Bau am 25. Oktober 1928 eingeweiht. Nach den üblichen Festansprachen wurden die 500 Gäste aus dem In- und Ausland zu Tisch gebeten. Zum bewusst eher schlicht gehaltenen „Marktimbiss“ gab es „Dribb'der Bacher (also Sachsenhäuser) Gärtnerinnen-Suppe“, „Frankfurter Ochsenbrust mit Großmarkthallen-Beilagen“, „Mitteleuropäische Käseplatte“ und „Internationales Obst“. Angesichts des festlichen Mahls „ohne altmodische Ornamente“ spöttelte der Lokalreporter des „Frankfurter General-Anzeigers“: „Es war die erfolgreichste Methode, den Geist der Sachlichkeit allen restlos klar zu machen. Selbst der traditionsstärkste Handwerksmeister begriff (mit dem städtischen Rindfleisch im Magen) den neuen Stil.“

Zum Wahrzeichen des „Neuen Frankfurt“ sollte die Großmarkthalle werden. Die Stadtväter, allen voran Oberbürgermeister Ludwig Landmann und Stadtbaurat Ernst May, sahen das moderne, durch seine sachliche Funktionalität bestechende Bauwerk als einen prominenten Teil ihres stadtplanerischen Gesamtkonzepts jener späten zwanziger Jahre. Die Frankfurter Bürger jedoch freundeten sich, nicht zuletzt angesichts der immensen Baukosten von über 15 Millionen Reichsmark, nur allmählich mit ihrer monumentalen „Gemieskerch“ („Gemüsekirche“) an. Auswärtige aber bestaunten die Halle bald als ein „Wunderwerk der Technik“. Andere Markthallen, etwa in Leipzig, Basel und Budapest, wurden nach dem Frankfurter Vorbild errichtet. In ihrer städtebaulichen und wirtschaftlichen Bedeutung hat die Großmarkthalle eine fast 75-jährige Tradition, die nun unter neuen Vorzeichen fortgeschrieben werden soll: Am 5. März 2002 hat die Europäische Zentralbank (EZB) das rund 12 Hektar umfassende Areal mit der denkmalgeschützten Halle erworben, um hier ihren künftigen Standort zu errichten.

Die Großmarkthalle, erbaut 1926-28 nach den Plänen des Stadtbaudirektors Martin Elsässer (1884-1957), prägt mit ihrer markanten Fassade bis heute die nördli­che Mainfront zwischen Innenstadt und Ostend. Bei seiner Eröffnung galt das Bauwerk nicht nur als der größte Gebäudekomplex der Stadt, sondern gar als der größte Eisenbetonbau der Welt. Der eigentliche, parallel zum Mainufer errichtete Hallenbau ist immerhin 220 Meter lang, 50 Meter breit und zwischen 17 und 23 Metern hoch. Fünfzehn, jeweils 14 mal 37,5 Meter messende Tonnengewölbe in Eisenbetonkonstruktion überspannen pfeilerlos die riesige Halle. Da diese Gewölbe nur eine Stärke von 7,5 cm haben, was im Verhältnis zu ihrer Größe etwa der Dicke einer Eierschale entspricht, nannte man die leicht und elegant wirkende Konstruktion auch „Eierschalengewölbe“.

Die eigentliche Großhandelshalle wird durch zwei Kopfbauten von 30 Metern Höhe begrenzt: das Bürohaus im Westen und das ehemalige Kühlhaus mit eigener Eisfabrik im Osten. Diesem Gebäudekomplex ist zum Main hin die Importhalle vorgelagert. Zwischen den beiden Hallen erstreckt sich der eigene, in Eisenkonstruktion mit Glasüberdachung erbaute Bahnhof des Großmarkts, dessen Gleisanlagen bis zu 350 Waggons fassen. Diesen Bahnanschluss machten sich von 1941 bis 1945 die NS-Behörden zunutze: Sie bestimmten die Großmarkthalle zur Sammelstelle für die Menschen jüdischer Herkunft aus Frankfurt und Umgebung, die von dem hinter der Importhalle gelegenen Gleis 40 in die Konzentrationslager deportiert wurden. An dieses dunkle Kapitel in der Geschichte der Großmarkthalle erinnert seit 1997 eine Gedenktafel am Bürohaus West.

Nach der schwierigen Kriegs- und Nachkriegszeit, in der die Großmarkthalle bei Luftangriffen schwer beschädigt (1943/44), von der amerikanischen Militärregierung teilweise beschlagnahmt (1945-1960) und durch die Stadt Frankfurt erst nach und nach wiederaufgebaut (1947-1953) wurde, boomte der Großmarkt in den Wirtschaftswunderzeiten der 50-er und 60-er Jahre. Seit dem Aufkommen der Handelsketten in den 70-er Jahren jedoch ging der Umschlag von Obst und Gemüse hier zurück. Inzwischen genügt die sanierungsbedürftige Großmarkthalle den stark veränderten Anforderungen des Marktes nicht mehr.

Noch steht aber der Schreibtisch des ersten Marktdirektors von 1928 in der Großmarkthalle. Walter Bachmann, bis 1997 stellvertretender Leiter der städti­schen Marktbetriebe, der auch ein Buch über die Großmarkthalle geschrieben hat, hat das massive Möbel vor dem Sperrmüll gerettet - für das kleine „Marktmuseum“, das er mit viel Liebe zum Detail in zwei ehemaligen Büros des westlichen Kopfbaus eingerichtet hat. Von dem historischen Direktorensessel aus kann man aus einem Fenster vom 4. Stock den ganz und gar nicht beschaulichen Marktbetrieb in der Halle überblicken. Am 31. Dezember 2003 soll hier zum letzten Mal mit Obst und Gemüse gehandelt werden, um am folgenden Tag das Geschäft im neu zu errichtenden „Frischemarkt“ (FRIMA) in Kalbach aufzunehmen. Auf dem geräumten Großmarktareat will die EZB ab 2004/05 mit dem Bau ihrer neuen Zentrale beginnen, die bereits 2007 bezugsfertig sein soll. Demnächst wird ein weltweiter Architektenwettbewerb zur Bebauung des Areals ausgeschrieben. Herz- und Glanzstück des neugestalteten Gebiets wird auf jeden Fall der alte und doch zeitlos moderne Bau der Großmarkthalle sein.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 28 vom 23.07.2002

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