Vom Völkermuseum zum Museum der Weltkulturen

Vor 100 Jahren wurde das völkerkundliche Museum in Frankfurt eröffnet

Seit 2001 heißt es „Museum der Weltkulturen“. Der neue Name ist Programm. Das vor 100 Jahren, am 22. Oktober 1904, gegründete ehemalige Frankfurter „Völkerkundemuseum“ will unter der Leitung der Direktorin Dr. Anette Rein vor allem den interkulturellen Dialog fördern. Mit einer Ausstellung blickt man jetzt auf die Geschichte des Hauses zurück.

Frankfurt am Main (pia) „Die Säle waren voll von Augen“, erinnerte sich die frühere Mitarbeiterin Margot Benary-Isbert an das alte Völkermuseum. „Aus allen Ecken starrten sie einen an.“ Überall habe man das Augenornament, „eins der ältesten und verbreitetsten Zaubermittel“, gefunden: „auf dem Schiffsbug und dem Mantel des Schamanen, auf Krügen, Körben, Gewändern und Masken, auf Totempfählen und Götterbildern“. Die Augen der Ausstellungsstücke verfolgten die Besucher auf dem Weg durch die ethnographische Schau- und Studiensammlung des Museums im barocken Palais Thurn und Taxis. Mitten in der Frankfurter Innenstadt konnte man hier bequem vom Malayischen Archipel über alle Kontinente bis nach Australien schlendern. Dort wurde man schließlich verabschiedet von einer „Gruppe von Süd-Australiern in außerordentlich naturgetreuer Nachbildung, Mann, Weib und Kind, wie sie unter einem Windschirm um das Feuer sitzen und auf den Braten warten, den der Vater eben zu zerlegen im Begriffe steht“, wie der Museumsführer von 1911 verhieß.

Vor 100 Jahren, am 22. Oktober 1904, wurde das städtische Völkermuseum eröffnet. Initiator war der Mediziner Hofrat Dr. Bernhard Hagen, der selbst fast zwanzig Jahre lang als Kolonialarzt in Sumatra tätig war, bevor er sich in Frankfurt niederließ. Als Vorsitzender der von ihm begründeten Anthropologischen Gesellschaft organisierte er 1903 eine ethnographische Ausstellung im Zoologischen Garten, womit er das Interesse und die Förderung des Oberbürgermeisters Franz Adickes gewann. So begann nur ein Jahr später das Völkermuseum, zunächst im ehemaligen Bankhaus Goll in der Münzgasse 1, mit immerhin 4.000 Exponaten. Dabei konnte auf ältere, bereits seit dem 18. Jahrhundert bestehende völkerkundliche Sammlungen der Stadt aufgebaut werden. Unter Hagens Direktion vergrößerten sich die Bestände des neuen Museums rasch. Genau vier Jahre nach der Eröffnung, am 22. Oktober 1908, bezog das Völkermuseum mit inzwischen 16.000 Objekten das Palais Thurn und Taxis, wo im barocken Ambiente ausreichend Platz zur Verfügung stand.

In den 1920er und 1930er Jahren, als Fernreisen noch nicht jedem möglich oder gar selbstverständlich waren, war das Völkermuseum eines der meistbesuchten Museen der Stadt und zeitweise sogar beliebter als das Senckenbergmuseum. Spektakulär war die Angliederung des „Instituts für Kulturmorphologie“ und insbesondere des „Afrika-Archivs“ des Forschungsreisenden Leo Frobenius aus München, die auf Bürgerinitiative 1924/25 ermöglicht wurde. Frobenius leitete von 1935 bis zu seinem Tod 1938 auch das Völkermuseum.

Nach dem Krieg sollte das Museum eigentlich wieder ein eigenes Haus bekommen. Sein altes Domizil, das Palais Thurn und Taxis, war bei den Luftangriffen auf Frankfurt im März 1944 zerstört worden. Glücklicherweise konnten etwa zwei Drittel der Bestände durch rechtzeitige Auslagerung gerettet werden. Nach fast 30 Wanderjahren erhielt das Völkerkundemuseum eine Villa am heutigen Museumsufer, sein Haupthaus am Schaumainkai 29, das in den 1990er Jahren um zwei benachbarte Villen erweitert werden konnte. Aus Platzgründen konnte das Museum in der Nachkriegszeit seine knapp 70.000 Objekte umfassenden Sammlungen jedoch nie in einer Dauerausstellung zeigen. Seit der Neueröffnung 1973 erarbeitete und präsentierte es fast genau 100 Einzelausstellungen. Allein schon aufgrund der Raumsituation sei das Frankfurter Museum für Völkerkunde also immer eigene Wege gegangen, meint die seit April 2000 amtierende Direktorin Dr. Anette Rein im Rückblick auf die Geschichte ihres Hauses: „Es musste sich immer etwas Besonderes ausdenken.“

Auf Initiative Anette Reins wurde das Völkerkundemuseum 2001 in „Museum der Weltkulturen“ umbenannt. Der neue Name ist Programm. Im Zeitalter der globalen Vernetzung will die Direktorin in ihrem Haus vor allem den interkulturellen Dialog fördern. Die Ressourcen und Kapazitäten des Museums sollen genutzt werden, um Menschen unterschiedlicher Kulturkreise zusammenzuführen und im Gespräch ihr Wissen teilen zu lassen. Trotz moderner Mittel wie Museumspädagogik, Internetauftritt und Eventmanagement ist der Ausgangspunkt für die Museumsarbeit gleich geblieben: Traditionell stehen im Zentrum die Sammlungen des Hauses. Wurden die Bestände im Gründungsjahr 1904 bei allem volksbildenden Anspruch allerdings vorrangig unter dem kolonialen Aspekt betrachtet, so werden sie heute mit ganz anderen Augen gesehen. „Ansichtssachen aus 100 Jahren“ heißt daher auch die Jubiläumsausstellung, in der die einzelnen Mitarbeiter ausgewählte Stücke der hauseigenen Sammlungen aus den unterschiedlichsten Perspektiven und in den vielfältigsten Kontexten zeigen.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 38 vom 28.09.2004

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