Schon die Neandertaler hatten Arthrose

Deutsches Orthopädisches Geschichts- und Forschungsmuseum in Frankfurt

Die 1998 eröffnete Dauerausstellung des Deutschen Orthopädischen Geschichts- und Forschungsmuseums spricht das Fachpublikum genauso an wie interessierte Laien. Das Museum ist kein „Gruselkabinett“, sondern Ort der Erforschung, Dokumentation und Bewahrung der Geschichte der Orthopädie. Gegründet 1959 in Würzburg, ist es seit 1995 in Frankfurt beheimatet.

Frankfurt am Main (pia) Vom Schädel, den die Tuberkulose wie ein Schrotschuss durchlöchert hat, bis zum Schienbein, das ein bösartiger Tumor großflächig angefressen hat: Dieser Mann hatte scheinbar keinen gesunden Knochen im Leib. Doch der Bemitleidenswerte musste nicht wirklich alles durchleiden, wovon sein Skelett zeugt. Für das Deutsche Orthopädische Geschichts- und Forschungsmuseum wurde der Knochenmann vielmehr aus Präparaten verschiedener Skelette zusammengesetzt. So demonstriert er fast alle Krankheiten, Verletzungen und Fehlbildungen, die die Orthopädie zu bekämpfen und zu heilen bestrebt ist. Seine teilweise Jahrtausende alten, bei archäologischen Ausgrabungen entdeckten Knochen erzählen etwa davon, dass schon die Neandertaler an Arthrose erkrankten oder dass die Menschen in Europa bereits vor 4000 Jahren die Tuberkulose fürchten mussten.

Seit 1995 ist das Deutsche Orthopädische Geschichts- und Forschungsmuseum in Frankfurt beheimatet. Gegründet 1959 in Würzburg, musste es dort aus Platzgründen weichen. Sein jetziges Domizil stellt die Frankfurter Orthopädische Universitätsklinik, Stiftung „Friedrichsheim“, in ihrem Gebäude unentgeltlich zur Verfügung. Das Museum wird getragen von einem Verein unter Vorsitz von Prof. Ludwig Zichner, dem Ärztlichen Direktor des „Friedrichsheims“, und unterstützt von der „Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie“. Die 1998 eröffnete Dauerausstellung spricht das Fachpublikum genauso an wie interessierte Laien. Allein in der „Nacht der Museen“ 2004 drängten sich über 600 Besucher in den drei Räumen.

Fast auf den ersten Blick offenbart sich beim Museumsrundgang der entscheidende Wandel in der Orthopädie: Während heute meist ältere Menschen behandelt werden, zeigen die historischen Patientenbilder noch bis in die ersten Nachkriegsjahre hinein vorwiegend Kinder und Jugendliche. „Das gerade Kind“ war Ziel der medizinischen Fachrichtung gleichen Titels, die der französische Arzt Nicolas Andry 1741 begründete. In seinem Werk „Orthopädie, oder die Kunst, bey den Kindern die Ungestaltheit des Leibes zu verhüten und zu verbessern“ machte er den damals revolutionären Vorschlag, bei Kindern die eigentlich als gottgegeben geltenden Verkrümmungen der Wirbelsäule und der Beine mit Hilfe von Schienen zu korrigieren. Andry verglich den Orthopäden mit einem Gärtner, der einen verwachsenen Baum an einen kräftigen Pfahl bindet, um die Fehlstellung im Zuge des Wachstums allmählich auszugleichen. Ein angeschlungener Baum mit gekrümmtem Stamm ist seitdem das Wahrzeichen der Orthopädie. Es erinnert an die Skoliose, eine Verkrümmung der Wirbelsäule, die noch immer eine ernstzunehmende Erkrankung von Kindern und Jugendlichen ist. Andere Krankheiten dagegen, wie die Rachitis oder die Kinderlähmung, treten heute in Mitteleuropa kaum noch auf.

Die Ausstellung blickt auch aus sozial- und kulturgeschichtlicher Sicht auf die Orthopädie. So wird daran erinnert, dass orthopädisch Kranke und Körperbehinderte im offiziellen Sprachgebrauch lange „Krüppel“ genannt wurden, bis sie selbst sich gegen diese Bezeichnung wehrten. Auch das „Friedrichsheim“ geht auf eine 1908 gegründete Initiative für ein „Krüppelheim“ im Rhein-Main-Gebiet zurück. Die gezeigten Apparate zur Krankengymnastik aus jenen Gründerjahren muten dagegen fast an wie aus einem Fitnessstudio. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte der schwedische Arzt G. J. W. Zander die Idee, die Heilgymnastik einer Maschine zu übertragen. In der allgemeinen Technikbegeisterung der Zeit kam die „Zandertherapie“ regelrecht in Mode, bis sie wegen ihrer hohen Kosten bei Beginn des Ersten Weltkriegs in Vergessenheit geriet. Die Behandlung der Verwundeten stellte die Orthopädie nun vor neue Aufgaben. Wie immer in Kriegszeiten wurde auch die Prothetik weiterentwickelt. Davon zeugt etwa die Reihe der Exponate von der Eisernen Hand des Götz von Berlichingen aus dem 16. Jahrhundert bis zur ebenso berühmten „Sauerbruch-Hand“ von 1916.

Trotz aller gezeigten anatomischen Präparate, medizinischen Geräte, physiotherapeutischen Apparate und orthopädietechnischen Hilfsmittel präsentiert sich das Deutsche Orthopädiemuseum nicht als „Gruselkabinett“. Die Ausstellungsmacher, Museumsleiter Prof. Ludwig Zichner und seine Fachkollegen Dr. Michael A. Rauschmann und Prof. Klaus-Dieter Thomann, verstehen das Museum vielmehr als Ort der Erforschung, Dokumentation und Bewahrung der Geschichte ihres Fachs. Tatsächlich gingen von hier schon wichtige Anregungen für wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der Orthopädiegeschichte aus. Für die Forscher ist die Museumsbibliothek natürlich ein besonderer Schatz. Mit rund 6.000 Bänden, von denen die ältesten aus dem 16. Jahrhundert stammen, ist sie die größte Spezialbibliothek für Orthopädiegeschichte in Deutschland.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr.44 vom 09.11.2004

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