Eine Widerstandskämpferin aus Frankfurt

Rose Schlösinger wäre am 5. Oktober 100 Jahre alt geworden

Berichte ihres Mannes über Gräueltaten der Wehrmacht im Krieg an der Ostfront gaben Rose Schlösinger den letzten Anstoß, sich aktiv am Widerstand gegen das NS-Regime zu beteiligen. Als Mitglied der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ wurde sie 1942 in Berlin verhaftet und am 5. August 1943 hingerichtet.

Frankfurt am Main (pia) „Ich bin jetzt gerade ganz ruhig und fast heiter“, schrieb Rose Schlösinger, den Tod vor Augen, an ihre Schwester. In den letzten Stunden vor der Hinrichtung galt die Sorge der jungen Frau allein ihrer Familie. „Dir selbst wünsche ich“, tröstete sie die Mutter in ihrem Abschiedsbrief, „daß Du Dich nicht so sehr quälst, daß Du ruhig bleibst und denkst, daß Dein Kind nun Ruhe hat. Es ist auch kein schlechter Gedanke zu wissen, daß ich bis zum letzten Moment davon überzeugt war, daß ich nur für meine Liebe gestorben bin - es ist kein schlechter Tod...“ Kurz darauf, am 5. August 1943 um 19.21 Uhr, starb Rose Schlösinger unter dem Fallbeil in der Berliner Strafanstalt Plötzensee. Sie wurde ermordet - von dem nationalsozialistischen Terrorregime, gegen dessen Unmenschlichkeit sie als Mitglied der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ gekämpft hatte.

Rose Schlösinger stammte aus Frankfurt. Vor 100 Jahren, am 5. Oktober 1907, wurde die spätere Widerstandskämpferin im Nordend geboren. Nach der Trennung ihrer Eltern 1914 lebte sie bei ihrer Mutter Sophie Ennenbach, einer außergewöhnlich engagierten Sozialdemokratin, die bereits 1911 den ersten Internationalen Frauentag in Frankfurt organisiert hatte, nach dem Ersten Weltkrieg die städtische Arbeitsvermittlungsstelle für Frauen aufbaute und zeitweise der Stadtverordnetenversammlung angehörte.

Nach der Mittleren Reife absolvierte Rose das Kindergärtnerinnenseminar in Gießen und arbeitete dann als Kindergärtnerin in Unterfranken. 1929 entschloss sie sich zum Studium an der gerade neu eingerichteten Frankfurter Wohlfahrtsschule. Ihr Praktikum als Sozialarbeiterin begann sie im heimischen Nordend, wo sie auch wieder wohnte, zusammen mit ihrer Mutter und ihrer 1932 geborenen Tochter Marianne, die einer kurzen Studentenehe entstammte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 verlor Sophie Ennenbach aufgrund ihrer politischen Haltung ihre Stelle, und ihre Tochter erhielt daraufhin ebenfalls Arbeitsverbot.

Um für den Unterhalt der Familie sorgen zu können, zog Rose 1934 nach Chemnitz, wo sie keiner kannte und sie eine Stelle als Schreibkraft bei den Wandererwerken bekam. Sie litt unter dem erzwungenen Abschied von der geliebten Heimatstadt, der sie zu einer kleinen Erzählung „Die Schöne und die Häßliche“ anregte: „Die Schöne“ ist Frankfurt, „die Häßliche“ Chemnitz. Im Juni 1939 heiratete Rose ihren Vetter Bodo Schlösinger, dem sie bald nach Berlin folgte. Als Übersetzer für Englisch und Russisch wurde Bodo Schlösinger mit Kriegsbeginn beim Auswärtigen Amt eingesetzt, während seine Frau als Chefsekretärin in der Berliner Wandererzentrale arbeitete. Über Mildred Harnack, eine Dozentin von Bodo Schlösinger am Abendgymnasium, kamen sie in Kontakt zum Freundeskreis um den Ökonomen Arvid Harnack und den Offizier Harro Schulze-Boysen, an dessen Zirkelabenden sie teilnahmen.

1940 wurde Bodo Schlösinger als Dolmetscher an die Front versetzt, zuerst nach Polen, dann an die Ostfront, wo er grauenvolle Übergriffe der deutschen Wehrmacht auf die russische Zivilbevölkerung miterlebte. Seine Berichte darüber gaben seiner Frau vermutlich den letzten Anstoß, sich aktiv am Widerstand gegen das NS-Regime zu beteiligen. Spätestens im Frühjahr 1942 wurde Rose Schlösinger von Mildred Harnack eingeweiht in die Pläne der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe, des verzweigten Widerstandsnetzes, das heute unter dem (ursprünglich von der deutschen militärischen Abwehr geprägten) Namen „Rote Kapelle“ bekannt ist. Nach einigen Flugblatt- und Klebezettelaktionen gegen Hitler hatte die Gruppe sich zum Ziel gesetzt, militärische Informationen an die Sowjetunion zu übermitteln, um dadurch den grausamen Krieg vorzeitig zu beenden. Rose Schlösinger fungierte als Botin zwischen Arvid Harnack und Hans Coppi, einem jungen Kommunisten, der Funkkontakt mit der Sowjetunion aufzunehmen versuchte.

Die Dechiffrierung eines Funkspruchs, die dem Oberkommando des Heeres im August 1942 gelang, löste eine Verhaftungswelle gegen die „Rote Kapelle“ aus: Es wurden 126 ihrer Mitglieder festgenommen, von denen 57 einen gewaltsamen Tod fanden. Am 18. September 1942 wurde auch Rose Schlösinger in ihrer Berliner Wohnung verhaftet. Nach einer zweitägigen Verhandlung vor dem Reichskriegsgericht wurde sie am 20. Januar 1943 wegen „Spionage“ zum Tod verurteilt. Als ihr Mann an der Front davon erfuhr, nahm er sich das Leben. Zusammen mit zwölf anderen Frauen der „Roten Kapelle“ wurde Rose Schlösinger am Abend des 5. August 1943 in Plötzensee hingerichtet. Ihrem letzten Wunsch gemäß erfuhr ihre damals elf Jahre alte Tochter Marianne nichts von den grausamen Todesumständen der Mutter. Erst an ihrem 18. Geburtstag erhielt sie den Abschiedsbrief.

Im Kalten Krieg wurde die Erinnerung an die Widerstandskämpferin Rose Schlösinger ausgelöscht. In der Bundesrepublik wurden sie und ihre Mitstreiter der „Roten Kapelle“ lange als sozialistische „Spione“ und „Vaterlandsverräter“ verunglimpft. Erst zu Beginn der neunziger Jahre korrigierte die Geschichtsschreibung dieses falsche Bild. Seitdem erinnert auch in Frankfurt, am Haus ihrer Kindheit in der Münzenberger Straße 4, eine Gedenktafel an Rose Schlösinger.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 38 vom 25.09.2007

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