Der Widerspenstigen Zähmung

Cover Widerspenstige Zähmung

Karl Ettlinger

Der Widerspenstigen Zähmung

Erzählung

Herausgegeben von Sabine Hock.

Nidderau: Naumann 2000
(Ettlinger · Lesebuch 4)
 

Vorwort

Die Novelle Der Widerspenstigen Zähmung ist das erzählerische Meisterwerk von Karl Ettlinger. Sie erschien erstmals gegen Ende des Jahres 1919. Der damals 37jährige Autor hatte sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg einen Namen als Redakteur der Münchner illustrierten Wochenschrift Jugend gemacht und war unter seinem Pseudonym „Karlchen“ als humoristischer Schriftsteller ungeheuer populär. Nach dem Kriegsdienst an der Westfront, der für Ettlinger mit einer schweren Verwundung 1916 endete, war er vorübergehend in die Redaktion der Jugend zurückgekehrt, um sich dann seit dem Sommer 1918 als freier Schriftsteller zu versuchen. Als erstes Ergebnis dieser freien Schaffensperiode legte Ettlinger ein gutes Jahr später seine Erzählung Der Widerspenstigen Zähmung vor.

Es ist die melodramatische Geschichte des gutmütigen Offenbacher Auslaufers Adolf Borges und dessen boshafter Gattin Katharina. Adolf, der seine Frau aufrichtig liebt, weiß deren gehässigen und gemeinen Attacken nur seine Güte entgegenzusetzen. Sein trotz aller seelischen Verletzungen geduldig gelebtes Vorbild bleibt jedoch ohne bessernde Wirkung auf Katharina. Nach dem Besuch einer Theateraufführung von Shakespeares (der Novelle ironisierend den Titel leihender) Komödie Der Widerspenstigen Zähmung ringt sich Adolf daher schweren Herzens dazu durch, daheim einmal den Petruchio zu geben. Resignierend muß er feststellen, daß er sein „Käthchen“ auch mit Gewalt nicht zähmen kann. Allmählich zerbricht er an der Kälte und Grausamkeit seiner Frau.

Ettlinger erzählt das traurige Schicksal des Auslaufers Adolf Borges mit einer melancholischen Grundstimmung, humorvoll und menschlich anrührend zugleich, manchmal vielleicht etwas sentimental, immer aber ohne falsche Töne. Die zeitgenössischen Kritiker rühmten das Bändchen dementsprechend als „eine schlichte, wahrhaftige Dichtung“ (Bühne und Film, Berlin, um 1919/20), „einen humoristischen Roman großen Stils“ (Münchener Zeitung, 19.11.1919). Ettlinger, darin waren sie sich einig, habe mit diesem Buch bewiesen, daß „mehr als ein bloßer Spaßmacher, nämlich ein Dichter, in ihm“ stecke (Das literarische Echo, 1.2.1920), und einer meinte, etwas voreilig, daß das Werk „einen Wendepunkt in Karlchens literarischem Werdegang“ darstelle (Handel und Industrie, München, 6.12.1919).

Tatsächlich war Ettlinger damals künstlerisch auf dem Weg vom effekthaschenden Komiker zum humoristischen Erzähler. Als das „Karlchen“ der Jugend hatte er einst übermütig die tollsten Possen gerissen und die Zeitereignisse mit frechen Versen und dreisten Glossen satirisch kommentiert. Keine Pointe hatte der stets nach dem Publikum schielende Satiriker ausgelassen. Das Kriegserlebnis ging jedoch nicht spurlos an dem einst so unbekümmert heiteren Witzemacher vorbei. Das zeigt seine noch im Schützengraben begonnene Novelle Benno Stehkragen (1917), das erste Werk, das Ettlinger nach seiner Kriegsverletzung vollendete. Darin erzählt er die Lebensgeschichte von Benno Stehkragen, einem kleinen Buchhalter der Industriebank in Frankfurt am Main. Benno ist ein fantasievoller Eigenbrötler, ein gläubiger Jude, ein treuer Deutscher und ein guter Mensch. Am Ende des Buchs stirbt er, der seit Beginn des Ersten Weltkriegs darunter gelitten hat, wegen einer Behinderung (er hat einen Buckel) nicht dem deutschen Vaterland dienen zu dürfen, doch einen Heldentod: Er rettet bei einem drohenden Fliegerangriff ein Kind und kommt dabei selbst ums Leben.

Dieser Benno Stehkragen ist ein geistiger Bruder von Adolf Borges, dem Haupthelden des zwei Jahre später erschienenen Buchs Der Widerspenstigen Zähmung. Beide, Benno wie Adolf, gehören zu „den Gerechten, die viel zu leiden haben“, und beide haben einen Hang zum Philosophieren, obwohl sie - wie Adolf einmal sagt - eigentlich „nix von der Philosophie unn all dem Zeug“ verstehen. Dank ihrer Fantasie fallen ihre Betrachtungen dementsprechend eigenwillig aus, oft überraschend treffsicher, manchmal aber auch ungewollt komisch oder gar erschreckend makaber (wie Adolfs Wunsch nach einer „groß Insektepulverspritz“, mit der er in seiner zunehmenden Verbitterung der Menschheit zuleibe rücken will). Gelegentlich läßt sich sogar der Erzähler Ettlinger - ob nun bewußt oder unbewußt - von Adolfs Hang zu merkwürdigen Vergleichen und schiefen Bildern anstecken. Dann verpaßt er etwa Adolfs Arbeitsstelle eine botanische Szenerie, in der Adolfs blaue Augen „wie zwei große Glockenblumen“ blühen, „beschattet von dem Gesträuch der Kommis und den mächtigen beiden Stämmen der Geschäftsinhaber“, er läßt sich zu unfreiwillig komischen Bildern wie dem von der gutbürgerlichen Ehe als Biedermeierpostkutsche verleiten, oder er führt Adolfs ohnehin schon mehr als hinkenden Vergleich der parfümierten Katharina mit einem Gewächshaus ad absurdum. In solchen Momenten verliert - um in der Bildersprache zu bleiben - Ettlinger die Balance auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Verzweiflung. Diese kleinen Experimente auf der Suche nach einem eigenen Erzählstil sind einfach danebengegangen. Ettlinger läßt solche „Grafame“ (wie der Frankfurter sagen würde) im Laufe der Geschichte denn auch lieber bleiben, je mehr sich die Schlinge um den Hals seiner Hauptfigur zuzieht.

Brillant ist dagegen Ettlingers Umgang mit einem anderen Stilmittel: dem Dialekt. Als der „alde Frankforder“ der Münchner Jugend hatte der Autor bereits seit 1903 Erfahrungen mit dem Dichten in seiner Heimatmundart gesammelt und sich mit diesen Versen - nicht zuletzt dank seiner satirischen Begabung - als ein würdiger Nachfahr von Friedrich Stoltze erwiesen. Bald versuchte sich Ettlinger mit Humoresken, in denen er den Erzähltext zwar hochdeutsch, die Dialoge jedoch frankfurterisch abfaßte. Nach diesem Prinzip gestaltete er ab 1917 auch Novellen, zunächst die bereits erwähnte Erzählung Benno Stehkragen, dann die vorliegende Der Widerspenstigen Zähmung. Mit beiden Büchern verstieß Ettlinger gegen die Konventionen der herkömmlichen, traditionellen Mundartliteratur. Vielmehr experimentierte er darin mit dem Frankfurter Dialekt als einem gezielt eingesetzten Stilmittel in der ernsthaften, nicht heimattümelnden Literatur. Durch die Verwendung des Frankfurterischen als „authentischer“ Sprache in den Dialogen erzielte er vor allem in Der Widerspenstigen Zähmung eine solche Dichte der Szenen aus dem Alltag der kleinen Leute, daß dem traditionell Heiteres erwartenden Mundartleser das Lachen im Halse steckenbleiben muß. Es geht hier nicht mehr um das pure Vergnügen des Lesepublikums. Statt dessen wies Ettlinger mit dieser Erzählung den Weg zu einem neuen Realismus in der hessischen Mundartliteratur. Erst rund 50 Jahre später verstanden Schriftsteller wie Wolfgang Deichsel, etwa in seinen Szenen Bleiwe losse (1971), daran anzuknüpfen.

Ettlinger selbst hat die mundartliterarische Qualität seiner Novelle Der Widerspenstigen Zähmung nie wieder erreicht. Als freier Schriftsteller steckte er in den zwanziger Jahren im Dilemma zwischen literarischem Schaffen und alltäglichem Broterwerb. Ein (zwar immerhin mit einer Startauflage von 20.000 Exemplaren erschienenes) Buch wie Der Widerspenstigen Zähmung war nicht geeignet, den zeitgenössischen Massengeschmack zu bedienen - zumal Ettlinger darin nicht sein Image als „alder Frankforder“ und schon gar nicht das als „Karlchen“ pflegte. In den Jahren der wirtschaftlichen Krise sah sich der Schriftsteller zunehmend genötigt, jenseits aller ernsthaften literarischen Ambitionen wieder für den breiteren Markt zu produzieren. So publizierte er zwar 1925 eine weitere Erzählung mit frankfurterischen Dialogen, das amüsant geschriebene und liebevoll ausgestattete Bändchen Der Bub' muß einmal seine Prügel haben. Diese im Bockenheimer Handwerkermilieu angesiedelte Lausbubengeschichte, die noch dazu mit einem Happy End für ein Liebespaar schließt, hat jedoch keinesfalls mehr experimentellen Charakter und kommt über das Niveau der heiteren Unterhaltungslektüre nicht hinaus. Mit seiner hier erstmals wieder veröffentlichten Novelle Der Widerspenstigen Zähmung dagegen hat sich Karl Ettlinger als moderner Mundartliterat bewiesen.

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