Vom Kanonendonner zu „Radio Goethe“

Ein Rückblick auf Goethefeiern in Frankfurt

Mal wollte man den Klassiker vom Sockel holen, mal ging es eher steif zu - Goethefeierlichkeiten in der Stadt Frankfurt waren immer von der Zeitstimmung geprägt. Erstmals gab es eine Huldigungsfeier für den größten Sohn der Stadt zu seinem hundertsten Geburtstag, im Jahr 1849. In diesem Jahr feiert Frankfurt Goethes 250. Geburtstag.

Frankfurt am Main (pia) - Mit „Musik auf dem Wasser“ begann die Feier von Goethes 66. Geburtstag - und mit einem Misston. Als der schon seit vier Jahrzehnten meist in Weimar lebende Dichter, damals Gast bei seinen Frankfurter Freunden Johann Jakob und Marianne Willemer auf der Gerbermühle am Main, am Morgen des 28. August 1815 aufstand, begannen Musikanten auf einem Boot im Fluss zu spielen. Zum Dank ließ Goethe der Kapelle einen Dukaten schicken - was die Künstler, Mitglieder des Theaterorchesters, als beleidigend empfanden.

Abgesehen von diesem kleinen Zwischenfall verging der Tag jedoch in „heiterer, freundlicher Stimmung“, wie Sulpiz Boisserée Goethes Reisebegleiter, in seinem Tagebuch berichtet. Am Abend las Goethe seinen Gratulanten aus dem „West-östlichen Divan“ vor. Mittags darauf fand Boisserée den „alten Herrn“ allerdings in weniger guter Verfassung vor: „Der viele eilfer Rheinwein (Anm.: Wein des von Goethe besonders geschätzten Jahrgangs 1811) und die feuchte Luft hatten Goethe zugesetzt.“

Es blieb dies der letzte Geburtstag, den der Dichter in seiner Vaterstadt verbrachte. Bei dem offiziellen Festbankett zu Goethes 70. Geburtstag 1819 kam, in Abwesenheit des Gefeierten, bereits der Plan für ein Frankfurter Goethedenkmal auf. Doch immer wieder gab es Widerstände, weil viele Frankfurter ihrem „größten Landsmann“ übel nahmen, dass er 1817 aus steuerlichen Gründen sein Bürgerrecht quittiert hatte. Erst zwölf Jahre nach Goethes Tod verwirklichte die Stadtregierung das Denkmalsprojekt. Das am 22. Oktober 1844 auf der Stadtallee feierlich enthüllte Monument wurde zum Mittelpunkt der Frankfurter Goethefeiern des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Erstmals anlässlich von Goethes 100. Geburtstag am 28. August 1849 gab es eine solche Huldigungsfeier am Denkmal. Vormittags ab 10 Uhr ging ein Festzug durch die Stadt zu dem Goethemonument, um dort pünktlich um 12 Uhr unter Glockengeläut und Kanonendonner der Geburtsstunde des Dichters zu gedenken. Obwohl damals offenbar ganz Frankfurt auf den Beinen war, meinte das Frankfurter Lokalblatt „Didaskalia“, dass „die Feststimmung überhaupt keine sehr schwungreiche, sondern eine etwas laue und, was freilich in den Zeitverhältnissen lag, gedämpfte, ja fast drückende war“. Angesichts des gerade erst wenige Wochen zurückliegenden Scheiterns der Revolution von 1848/49 wäre beinahe sogar kein Fest zustande gekommen, wenn sich nicht ein Bürgerkomitee in letzter Minute doch dafür stark gemacht hätte. Mit Goethes Geburtstagsfeier als „einem Fest aller Deutschen“ wollte es ein Zeichen gegen das neue Erstarken der alten Mächte setzen.

Auch hundert Jahre später, zu Goethes 200. Geburtstag 1949, machten die Zeitumstände den Frankfurtern das Feiern nicht gerade leicht. In der noch in Trümmern liegenden Stadt mussten allzu oft Nachkriegsprovisorien als Veranstaltungsorte herhalten. Statt der im Goethejahr 1932 begründeten Römerbergfestspiele gab es nun Freilichttheater (etwa „Urfaust“) im Karmeliterkloster; die Festaufführungen der Städtischen Bühnen fanden im Börsensaal und die Opernkonzerte im Palmengarten statt. Auch das im Krieg beschädigte Goethedenkmal konnte nicht rechtzeitig wiederhergestellt werden. Am schmerzlichsten aber war es, dass es selbst das Goethehaus nicht mehr gab. Es war bei dem Luftangriff auf die Frankfurter Altstadt an Goethes Todestag 1944 total zerstört worden. Sein Wiederaufbau hatte zwar begonnen, es wurde aber erst 1951 wieder eröffnet. Einer der wenigen Festsäle, den die Goetheverehrer schon wieder nutzen konnten, war die zum 100. Jahrestag der Nationalversammlung 1948 wieder aufgebaute Paulskirche. Dort wurde am 25. Juli 1949 der Schriftsteller Thomas Mann geehrt, dem in jenem Jahr der 1927 von der Stadt gestiftete Goethepreis zuerkannt worden war.

Völlig anders als alle früheren Goethefeiern verlief der 225. Geburtstag des Dichters 1974. Im Jahre 6 nach 1968 sollte der Klassiker vom Sockel geholt und vom bildungsbürgerlichen Mief befreit werden. Eine konventionelle Feier „mit Buchsbäumchen und ernsten Gesichtern“ war nicht gefragt. Im Mittelpunkt des zweiwöchigen „Superfestivals“ zu Goethes Ehren stand vielmehr ein fröhliches Fest im Foyer der Städtischen Bühnen mit Puppentheateraufführungen, Mephisto-Schminken, Jazzmusik, Menuett-Tanzstunden, einem Quiz und - zum Finale - einem Grüne-Soße-Essen. „Goethe war zeitlebens respektlos, da kann man ihn auch so feiern“, meinte ein Festbesucher.

Bei den Gedenkfeierlichkeiten zu Goethes 150. Todestag im Jahr 1982 dagegen ging es wieder steifer zu. Die Paulskirche war Schauplatz des offiziellen Festakts der Bundesregierung am 22. März 1982. Doch die Frankfurter taten sich damals etwas schwer mit Goethe. „Wird hier nur eine offizielle Pflicht erfüllt?“ fragte selbst Oberbürgermeister Wallmann in seiner Ansprache, und Festredner Leo Löwenthal erinnerte an Walter Benjamins Satz von 1932: „Jedes in diesem Jahr eingesparte Wort über Goethe ist ein Segen.“ Sehr viele Worte über Goethe können auch 1982 nicht eingespart worden sein. Allein der Hessische Rundfunk sendete am 21. März 1982 ganze 17 Stunden lang „Radio Goethe“. Dazu gehörte ein Weltrekord im Dauerlesen einer Goethe-Bibliographie, den der Schauspieler Wolfgang Kaven für das „Guinness-Buch“ aufzustellen versuchte. Ob er es geschafft hat, ist dem im Archiv überlieferten Zeitungsartikel aus der „Frankfurter Rundschau“ vom 22.3.1982 leider nicht zu entnehmen: „Bei Redaktionsschluss las Wolfgang Kaven noch immer“, heißt es da.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 6 vom 09.02.1999

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