Wie Frankfurt evangelisch wurde

Zur Geschichte der Reformation in der Reichsstadt

Die Hoffnung für sein Evangelium habe er nicht auf Frankfurt gesetzt, hat Luther gesagt. Aber die Stadt, in der der Evangelische Kirchentag im Juni seine Zelte aufschlägt, hat sich gleichwohl für die Sache der Reformation begeistert. Um den Status als Messe- und Wahlstadt nicht zu gefährden, lavierten die Stadtpolitiker allerdings zwischen Kaisertreue und Reformation.

Frankfurt am Main (pia) Johannes Cochläus tobte. Als Martin Luther am 14. April 1521 erstmals in Frankfurt Station machte, lief der katholische Dekan des Liebfrauenstifts fast Amok. Er folgte dem Reformator bis zum Reichstag nach Worms und forderte ihn zum gelehrten Zweikampf; der Unterlegene sollte sich dann freiwillig dem Flammentod überantworten. Doch Cochläus scheiterte kläglich mit seinem Ansinnen, und Luthers Auftritt vor dem Reichstag wurde zum Beginn einer Massenbewegung.

Auch in Frankfurt hatte Luthers kurzer Besuch die ohnehin humanistisch gesinnten Patrizier so sehr für die Sache der Reformation begeistert, dass sie schon im folgenden Jahr einen protestantischen Prediger, den Lutherschüler Hartmann Ibach, in die Stadt einluden. Er hielt am Sonntag Invocavit, den 9. März 1522, die erste evangelische Predigt in Frankfurt.

Die Einführung der lutherischen Lehre in Frankfurt war somit keine Initiative von Theologen und lag schon gar nicht im Interesse der ortsansässigen Geistlichen, die dafür viel zu sehr um den Verlust ihrer - auch wirtschaftlich - bevorzugten Stellung bangten. Schrittmacher der Reformation waren vielmehr Patrizier, Angehörige der städtischen Führungsschicht, die zumeist selbst im Rat saßen und die Geschicke der Stadt lenkten. Diesen juristisch und politisch versierten Männern war klar, welche Folgen der Wechsel zur neuen Glaubenslehre für Frankfurt als privilegierte Messe- und Wahlstadt haben konnte. Das offene Bekenntnis der Reichsstadt zum Protestantismus musste ein Affront sein: gegen den am katholischen Glauben festhaltenden weltlichen Stadtherrn, Kaiser Karl V., ebenso wie gegen den im benachbarten Mainz residierenden Kurfürsten und geistlichen Oberhirten, Erzbischof Albrecht von Brandenburg. Falls Kaiser und Kurfürst der Stadt die Privilegien entzogen hätten, wäre es mit Frankfurts Wohlstand und Ansehen vorbei gewesen. Künftig mussten die Stadtpolitiker daher ständig zwischen den Anforderungen der traditionellen Kaisertreue und der reformatorischen Bewegung lavieren.

Vollends ins Dilemma geriet der Rat der Stadt ab 1523/24, als sich breite Schichten der Bevölkerung für die Reformation zu mobilisieren begannen. Immer häufiger kam es zu Widerstand und sogar Tumulten gegen die altgläubige Geistlichkeit. So pochten die Sachsenhäuser seit Juli 1524 auf das Recht, ihren Pfarrer selbst zu wählen. „Wer nit geliebt wird, dem wird nit geglaubt“, argumentierten sie in einer Bittschrift. Die vom Domkapitel nach Sachsenhausen entsandten altgläubigen Kapläne vertrieben die - offenbar nicht umsonst als grob verschrieenen Sachsenhäuser einfach, indem sie handgreiflich wurden oder den Gottesdienst massiv störten. Nachdem der Rat auf Druck von Kaiser und Kurfürst im November 1524 die evangelische Predigt in Frankfurt wieder unterbinden musste, kochte der Zorn der reformatorischen Volksbewegung erst recht hoch. Ostern 1525, so berichtet ein zeitgenössischer Chronist, haben Bewohner Sachsenhausens und der Neustadt „eyn conspiracion gemacht widder den rat und geystlichkeit“. Die aufgebrachte Menge ließ auch den Weinkeller des Dominikanerklosters nicht aus und plünderte dort die Vorräte. Mit der Niederschlagung der Bauernkriegsbewegung scheiterte dieser Frankfurter Zünfteaufruhr. Um den inneren Frieden in der Stadt wiederherzustellen, gab der Rat jedoch einer Hauptforderung der aufständischen Bürgerschaft nach und stellte im Juni 1525 zwei evangelische Prädikanten ein. Damit konnte sich in Konkurrenz zur alten Kirche allmählich ein evangelisches Kirchenwesen in Frankfurt entwickeln. So wurde 1526 die erste Trauung und 1527 die erste Taufe nach evangelischem Ritus in deutscher Sprache im Dom gefeiert.

Mit solch kleinen Zugeständnissen gab sich jedoch die Bevölkerung auf Dauer nicht zufrieden. Immer heftiger verlangte sie die völlige Abschaffung des alten Kirchenwesens. Aufgewiegelt von den evangelischen Prädikanten, die von der Kanzel eifrig agitierten, machte sich das Volk Luft, indem es Kirchen stürmte und altgläubige Geistliche tätlich angriff. Zu Weihnachten 1531 und 1532 drangen Hunderte von Protestanten in den Dom ein und verhinderten das katholische Hochamt. Angesichts der Tumulte fürchtete der Rat einen erneuten Bürgeraufruhr, der möglicherweise auch die patrizische Herrschaft hätte stürzen können. Daher rang sich die Stadtregierung Mitte April 1533 dazu durch, den katholischen Kultus in Frankfurt zu verbieten. Um die Verantwortung für diese Entscheidung nicht allein tragen zu müssen, entschloss sich der Rat zu einem damals äußerst ungewöhnlichen Schritt: Er ließ am 21. April 1533 die - ansonsten von der politischen Willensbildung ausgeschlossenen - Bürger darüber abstimmen. Eine überwältigende Mehrheit votierte für die Abschaffung des katholischen Kirchenwesens.

Das Verbot des katholischen Kultus in Frankfurt konnte Kurmainz allerdings nicht einfach hinnehmen. Es klagte beim Reichskammergericht gegen die Stadt und beantragte, Frankfurt bei Strafe der Reichsacht zur völligen Wiederherstellung des alten Kirchenwesens zu verurteilen. Dieser im Mai 1533 eröffnete Religionsprozess war existenzbedrohend für Frankfurt. In seiner Verzweiflung entwickelte der Rat hektisch vielfältige diplomatische und juristische Aktivitäten, um den Prozess zum Stillstand zu bringen. Auf dem Höhepunkt der Krise wurden am 27. Oktober 1535 sogar Luther und Melanchthon schriftlich um Rat und Hilfe befragt. Luther antwortete den evangelischen Prädikanten am 10. November 1535, dass er sich nicht vorschnell als Schiedsrichter in die hiesigen Religionsstreitigkeiten einmischen wolle: Er habe „die Hoffnung für mein Evangelium nicht auf Euer Frankfurt gesetzt“. Ein weiterer, etwas weniger brüsk formulierter Absagebrief des Reformators an den Rat vom 23. November 1535 wird heute als besonderer Schatz in der Privilegienkammer des Instituts für Stadtgeschichte (Stadtarchiv) aufbewahrt.

Durch den Beitritt zum Schmalkaldischen Bund, einem Verteidigungsbündnis evangelischer Fürsten und Städte, konnte Frankfurt im Januar 1536 die Krise beenden, wenn es dafür auch mit seiner politischen Tradition der Kaisertreue brechen musste. Auf einen Krieg mit sämtlichen Mitgliedern des Schmalkaldischen Bundes wollte es der Mainzer Erzbischof dann doch nicht ankommen lassen. Stillschweigend verzichtete er auf eine Fortsetzung des Religionsprozesses gegen Frankfurt. Die Sturmjahre der Reformation waren damit auch für die Messestadt beendet. Im folgenden Jahrzehnt der Ruhe und des Friedens baute der Rat das evangelische Kirchenwesen in Frankfurt am Main auf. Unter dem Vorwand kirchlich-sittlicher Kontrolle erließ er auch Verordnungen zur Überwachung der öffentlichen Moral. Zum Beispiel wurde allen Stadtbewohnern Fluchen, Völlerei, Glücksspiele, Hurerei, „unzüchtige“ Tänze und sonstige Ausschweifungen verboten. So mündete paradoxerweise die Reformation, die als Auflehnung gegen überkommene Herrschaftstrukturen begonnen hatte, in erneute Bevormundung.

Mitte des 16. Jahrhunderts spitzten sich die Religionskonflikte erneut zu: Angesichts der Niederlage des Bundes gegen den Kaiser im Schmalkaldischen Krieg, der Frankfurt eine immens hohe Verschuldung und eine monatelange Besatzung 1546/47 einbrachte, unterwarf sich die Reichsstadt wieder bedingungslos dem Kaiser. Auf dem „Geharnischten Reichstag“ von Augsburg 1548 musste sie sich daher ganz dem obrigkeitlichen Willen beugen. So konnte die Frankfurter Stiftsgeistlichkeit jetzt die Restitution des katholischen Gottesdienstes im Dom und in einigen anderen Kirchen der Stadt erwirken. Im Oktober 1548 mussten die Protestanten den Dom räumen und künftig mit der (wesentlich kleineren) Barfüßerkirche als evangelischer Hauptkirche vorlieb nehmen. Mit der Rückgabe des Doms an die Katholiken war die Voraussetzung dafür geschaffen, dass Frankfurt weiterhin Wahl- und seit 1562 auch Krönungsort der deutschen Könige sein konnte.

Erst der auf dem Reichstag von 1555 geschlossene Augsburger Religionsfrieden brachte den Lutheranern auch in Frankfurt die reichsrechtliche Anerkennung ihres Glaubens. Künftig konnte die Stadt evangelisch und kaisertreu zugleich sein. Allerdings musste sie die Religionsausübung der wenigen altgläubig gebliebenen Einwohner dulden. Die katholische Minderheit genoss aber - ebenso wie die seit 1554 zugewanderten reformierten Glaubensflüchtlinge - keine bürgerliche Gleichstellung in der Reichsstadt. Das politische Regiment führten ausschließlich Angehörige der lutherischen Konfession, während die ökonomisch maßgebenden reformierten und katholischen Kaufleute weder in den Rat gewählt werden noch ein städtisches Amt bekleiden konnten. Obwohl Frankfurt also damals bereits eine „multikonfessionelle“ Stadt war, herrschte zwischen den Religionen noch lange Intoleranz und Feindseligkeit. Erst in napoleonischer Zeit, als Frankfurt mit der Auflösung des Reichs seine privilegierte Stellung verloren hatte, verordnete der nunmehr die Stadt regierende Fürstprimas Dalberg 1806 die bürgerliche Gleichstellung der Reformierten und Katholiken mit den Lutheranern. Dalberg verfügte 1811 auch die Gleichberechtigung der in Frankfurt lebenden Juden, welche jedoch nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft 1815 wieder aufgehoben und erst 1864 endgültig erreicht wurde.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 18 vom 08.05.2001

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