Ein leidenschaftlicher Europäer

Stadt Frankfurt veranstaltet Symposium zum 100. Geburtstag von Walter Hallstein

Am 17. November wäre der Jurist und engagierte Europapolitiker Walter Hallstein 100 Jahre alt geworden. Der Stadt Frankfurt und vor allem ihrer Universität war Hallstein eng verbunden. Er war der erste frei gewählte Rektor nach dem Krieg und stellte in diesem Amt die Weichen für die Zukunft der Johann Wolfgang Goethe-Universität.

Frankfurt am Main (pia) „Wer in europäischen Angelegenheiten nicht an ein Wunder glaubt, ist kein Realist“, soll Walter Hallstein (1901-1982) einmal gesagt haben. Der bundesdeutsche Jurist und Politiker hatte sich dem Ziel der Einigung Europas leidenschaftlich verschrieben und prägte wie kaum ein anderer die Europapolitik der fünfziger und sechziger Jahre. Als Staatssekretär im Auswärtigen Amt unter Adenauer war Hallstein maßgeblich beteiligt am Abschluss der Römischen Verträge am 24. März 1957, wodurch u. a. die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet wurde. Als erster Präsident der EWG-Kommission wirkte er künftig (1958-1967) in Brüssel. Mit seinem Ziel eines auch politisch geeinten Europas war er seiner Zeit weit voraus.

An den engagierten Europapolitiker erinnert jetzt ein „Walter-Hallstein-Symposium“ zum Thema „Die Zukunft der Europäischen Union: Vision und Realpolitik“, das die Stadt Frankfurt, die Johann Wolfgang Goethe-Universität und die Dresdner Bank in Zusammenarbeit mit dem Walter-Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht (WHI) der Humboldt-Universität zu Berlin anlässlich von Hallsteins 100. Geburtstag am 16./17. November 2001 veranstalten. Zu dem Symposium werden prominente Vertreter der EU sowie der Wissenschaft und Industrie in Frankfurt erwartet.

Dass das „Walter-Hallstein-Symposium“ in Frankfurt tagt, liegt nicht allein in dem europäischen Rang der Stadt, etwa als Sitz der Europäischen Zentralbank, begründet. Vielmehr war Hallstein der Stadt Frankfurt und vor allem ihrer Universität eng verbunden. Der am 17. November 1901 in Mainz geborene Jurist, der als Professor in Rostock (1931-1941) keinen Hehl aus seiner entschiedenen Haltung gegen den Nationalsozialismus gemacht hatte, wurde 1941 gegen den massiven Widerstand des NS-Dozentenbundes nach Frankfurt berufen und lehrte seitdem als Ordinarius für Bürgerliches Recht und Direktor des Instituts für Rechtsvergleichung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Bereits 1942 musste er jedoch zum Kriegsdienst einrücken. Während seiner Kriegsgefangenschaft in den Vereinigten Staaten wurde er in einer „Lageruniversität“ für ein demokratisches Nachkriegsdeutschland fortgebildet.

Im November 1945 kehrte Hallstein nach Frankfurt zurück, wo er sich unverzüglich für die Wiedereröffnung der Universität einsetzte. „Es war ein Glücksfall“ so schreibt der Universitätshistoriker Notker Hammerstein, „dass ein politisch untadeliger, wissenschaftlich kompetenter und praktisch veranlagter Gelehrter die geschlossene Juristische Fakultät und die ungesicherte Universität mit aufbauen konnte (...)“. Hallstein wirkte künftig nicht nur als Dozent der am 1. Februar 1946 wiedereröffneten Hochschule, sondern seit April 1946 auch als deren erster freigewählter Nachkriegsrektor. In diesem Amt, das er bis 1948 innehatte, stellte er die Weichen für die demokratische Zukunft der Frankfurter Universität. „Nicht nur der Wiederaufbau - der geistige, moralische, finanzielle und bauliche - stellte außerordentliche Anforderungen an den Amtsträger: Beispiel und Führungsstil des Rektors prägten das Selbstverständnis, den Stil und die politische Gesinnung derHochschule“, erläutert Historiker Hammerstein. „Dies war besonders wichtig für die aus dem Krieg zurückkehrenden Studenten - sie hatten nie eine Universität in freier Zeit erlebt.“ Als Teilnehmer der Marburger Hochschulgespräche, Initiator einer allgemeinen Rektorenkonferenz und Herausgeber der „Richtlinien für die Reform der Hochschulverfassung“ (1948) setzte Hallstein über Frankfurt hinaus Maßstäbe für die gesamte bundesdeutsche Universitätslandschaft und deren demokratische, freiheitliche und wissenschaftlich hoch qualifizierte Ausrichtung.

Im Juni 1950 wurde Hallstein von Bundeskanzler Konrad Adenauer zum Leiter der deutschen Delegation auf der Pariser Konferenz für die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) berufen. Er avancierte kurz darauf zum Staatssekretär im Bundeskanzleramt und später auch im Auswärtigen Amt. Als Adenauers enger Vertrauter gestaltete er dessen Außenpolitik wesentlich mit. Die „Hallstein-Doktrin“ von 1955 hat er nicht selbst ausgearbeitet, aber nach außen konsequent vertreten: Darin wurde der zwar heftig umstrittene, doch bis Ende 1969 geltende Grundsatz proklamiert, dass die Bundesrepublik in ihrem „Alleinvertretungsanspruch“ keine diplomatischen Beziehungen mit Staaten - außer der Sowjetunion - unterhalten könne, die die DDR anerkennen.

Die Verbindung zur Frankfurter Universität hat Hallstein in all den Jahren als Bundes- und Europapolitiker nie ganz aufgegeben. Damit er seinem Wunsch gemäß als Bundes- zugleich Landesbeamter und somit Professor an der hiesigen Hochschule bleiben konnte, was normalerweise nicht möglich ist, wurde er 1954 zum „Ehrenbeamten“ des Landes Hessen und Persönlichen Ordinarius für Bürgerliches Recht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität ernannt. Nach dem Abschluss seiner politischen Karriere 1974 setzte sich Walter Hallstein allerdings nicht in Frankfurt, sondern in Stuttgart zur Ruhe, wo er am 29. März 1982 starb.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 43 vom 30.10.2001

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