Wolf Schmidt, der „Babba Hesselbach“

Kultvater der Fernsehserie feiert 100. Geburtstag

Ende der 1940er Jahre hatte Wolf Schmidt eine Familienserie vorerst für den Hörfunk geschrieben, in deren hessischer Fassung er selbst den „Babba Hesselbach“ sprach. Seitdem wurden die „Hesselbachs“ für ihren Autor zum Segen – und Fluch.

Frankfurt am Main (pia) „Ei, Kall!“ Der Ruf seiner Frau machte den Mann bekannt. „Ei, Kall!“, sagte Mamma Hesselbach in der beliebten Fernsehserie der 1960er Jahre zu ihrem Gatten, in allen Ton- und Lebenslagen, oft schrill, mal sanft, gern empört, seltener verliebt: „Ei, Kall!“ Bis der stets und ständig so titulierte Karl Hesselbach es nicht mehr hören konnte. Doch wenn sie „es“ einmal nicht sagte und nur waidwund blickte, hielt er es auch nicht aus: „Nu sag schon: ‚Ei, Kall!’, Gewitter noch emal!“, donnerte er sie dann an. Er konnte nicht mit und nicht ohne Mammas Worte leben, die ihm lieb und lästig gewordenes Ritual waren. Ähnlich ging es Wolf Schmidt mit seiner Rolle als Karl Hesselbach. Ende der 1940er Jahre hatte er eine Familienserie für das Radio erfunden und geschrieben, in deren hessischer Fassung als „Familie Hesselbach“ er selbst den Babba sprach. Mit dem geglückten Sprung der Serie ins Fernsehen 1960 avancierte Schmidt als deren Autor, Co-Regisseur und Hauptdarsteller bundesweit zum echten Star. Das „Hesselbach“-Image ließ ihn nie mehr los. Als Wolf Schmidt 1977 starb, titelte sogar die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Verwechslung der Identitäten: „De Babba Hesselbach is dood“! Doch Babba Hesselbach lebt. Er und seine Familie sind heute Kult – nicht nur in Frankfurt und Südhessen, dessen Sprache sie sprechen.

Der eigene Vater als Vorbild

Vor 100 Jahren, am 19. Februar 1913, wurde Wolf Schmidt in Friedberg geboren. Sein Vater, der Altphilologe Karl Schmidt, der an der dortigen Augustinerschule unterrichtete, spielte dem neugeborenen Sohn als erstes die Waldstein-Sonate von Beethoven auf dem Klavier vor. Nachdem der sechsjährige Wolf 1919 zum ersten Mal im Theater gewesen und „Dornröschen“ gesehen hatte, ließ er seiner Mutter so lange keine Ruhe, bis sie ihm ein Textbuch schrieb, damit er das Stück mit seinen Freunden selbst aufführen konnte. Der Komponist Paul Hindemith, der oft aus Frankfurt zu Schmidts nach Friedberg kam, versprach sogar, die Musik dazu zu schreiben, was er jedoch zu Wolfs Leidwesen vergaß. Aber der kleine Theaterdirektor inszenierte immer wieder neue Aufführungen für den familiären Kreis. Dabei fand er bald seine erste Glanzrolle: eine Parodie seines Vaters. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte Schmidt diese Rollenfigur immer weiter. So wurde ihm der eigene Vater zum Vorbild für den Babba Hesselbach, dem er sogar dessen Vornamen, Karl, gab. Entgegen vielfacher Behauptungen spielte Wolf Schmidt als Babba also nicht sich selbst.

Anfänge im Radio

Auf Drängen des Vaters begann Schmidt ein Jurastudium in Paris und Freiburg. Schon bald arbeitete er jedoch als Zeitungskorrespondent in Paris und Rom, und seit 1933 lebte er als Journalist in Berlin. Aus dem Kriegsdienst im April 1945 nach Friedberg heimgekehrt, begann Schmidt bald, Unterhaltungsabende und Theateraufführungen zu organisieren. Mit einer Lizenz der amerikanischen Besatzungsmacht für eine „Theater- und Konzertagentur“ gründete er ein Tourneetheater, „Die heitere Bühne“, und ein Kabarett, „Die Zeitgenossen“. Kurze Szenen und Songs der „Zeitgenossen“ wurden bald von den Radiosendern Frankfurt, Stuttgart, München und Bremen übernommen. Bereits 1947 bot Wolf Schmidt Radio Frankfurt die Idee einer Familienserie an, doch der Sender lehnte ab. So startete Schmidts schwäbische „Familie Staudenmaier“ 1948 bei Radio Stuttgart, dem heutigen SWR.

‚Die Familie Hesselbach‘ auf Erfolgskurs

Erst angesichts des Erfolgs der Stuttgarter „Staudenmaiers“ biss auch der inzwischen neu gegründete Hessische Rundfunk (HR) in Frankfurt an. Für einen der populären „Bunten Nachmittage im Funk“ wurde die erste Episode aus dem Leben der „Familie Hesselbach“ live vor Publikum aufgezeichnet und am 17. September 1949 gesendet. Erst als diese Probesendung gefiel, gingen die von Schmidt verfassten „Hesselbachs“ beim HR in Serie. Das Gebabbel der Frankfurter Familie mit dem – von Schmidt selbst gesprochenen – Babba, der Mamma, Tochter Anneliese und Sohn Willi stand künftig einmal monatlich auf dem Programm und wurde schnell ungeheuer beliebt bei den Hörern. Insgesamt liefen 47 Folgen der Serie „Die Familie Hesselbach”, die dann mit zwölf Folgen von „Prokurist a. D. Hesselbach – Büro für Lebensberatung” und schließlich mit 18 Folgen von „Hesselbach GmbH” fortgesetzt wurde. Mittlerweile hatte Schmidt außerdem für den WDR eine kölnische „Familie Schmitz” und für Radio Beromünster eine schwyzerdeutsche „Familie Müller” geschaffen und sich auf eigene Kosten in das Abenteuer der Produktion von vier „Hesselbach“-Kinofilmen gestürzt. Nach dem Ende der Radio- und der Kinoserie 1956 wollte er sich eigentlich von den „Hesselbachs” trennen. Er wollte ins Fernsehen – aber nicht als Babba, weil er fürchtete, zu sehr auf diese Rolle festgelegt und damit reduziert zu werden.

Das Dreckrändche am Milchdippche

Doch als Wolf Schmidt 1959 das Angebot vom HR bekam, die „Hesselbach”-Serien für das damals ziemlich neue Medium Fernsehen zu bearbeiten, ließ er sich schließlich als Autor, Co-Regisseur und Hauptdarsteller dafür gewinnen. Man begann mit der Reihe „Die Firma Hesselbach”, der „Alltagschronik” eines kleinen Druckereibetriebs „irgendwo im Hessischen”, die am 22. Januar 1960 bundesweit anlief und sich schnell zum „Straßenfeger” entwickelte. Durchschnittlich über 80 Prozent der Fernsehzuschauer sahen die „Hesselbachs“, was auch in Zeiten des „einprogrammigen“ Fernsehens eine unerhörte Quote war. Bis 1963 wurden 24 Folgen der Serie „Die Firma Hesselbach” und 18 Folgen der Fortsetzung „Die Familie Hesselbach” ausgestrahlt, immer mit Wolf Schmidt als Babba und Liesel Christ als Mamma an der Spitze der Hauptdarsteller. Einzelne Episoden sind bis heute legendär, etwa die vom „röhrenden Hirschen“ unter ständiger Erwähnung vom Erwin, der ja so wertschaftlich is, oder die vom „Dreckrändche“ an de Mamma ihrm Milchdippche.

Immer nur der ‚Babba Hesselbach‘

Noch während die Fernsehserie erfolgreich lief, begann Schmidt verzweifelt zu versuchen, sich durch verschiedene Projekte für andere Unterhaltungssendungen und die Rückkehr zur journalistischen Arbeit vom „Hesselbach“-Image zu lösen. Aber wirklich gefragt war er nur als Babba Hesselbach. Nach heftigen Publikumsprotesten wegen des Serienendes schuf der Autor daher den „Stammtisch Hesselbach”, eine fingierte Frühschoppenrunde mit Diskussionen zu aktuellen Fragen aus Politik und Gesellschaft in illustrer Dialektmischung für den Hörfunk. Mit dieser Reihe bereitete er zugleich ein neues „Hesselbach”-Konzept vor, das den begrenzten Raum der hessischen Familie und ihres Familienbetriebs verließ und die Grundlage für ein Fernseh-Comeback der „Hesselbachs” sein sollte. Schmidts neue Reihe „Herr Hesselbach und...” von 1966/67, in der er Herrn Hesselbach in die Kommunalpolitik schickte, kam jedoch bei den Zuschauern nicht an. Statt der geplanten zwölf wurden nur neun Folgen der Serie produziert und gesendet.

Bis zum Kult

Der Misserfolg, der ihn wiederum die Abhängigkeit vom alten Babba Hesselbach spüren ließ, machte Wolf Schmidt zu schaffen. Deutliche geistige Verfallserscheinungen, die er zeigte, erklärten sich Familie und Freunde mit der Erschütterung angesichts des Todes seines Sohnes 1969. Doch tatsächlich litt Schmidt unter einer bereits fortgeschrittenen Alzheimererkrankung. Am 17. Januar 1977 starb der einstige Star, zuletzt fast vergessen vom Publikum, in einem Sanatorium in Gelsenkirchen. Erst in den späten Achtzigerjahren erlebte Babba Hesselbach sein Revival. Jetzt wird allmählich auch dessen Schöpfer Wolf Schmidt wiederentdeckt.

Sabine Hock

Zum 100. Geburtstag von Wolf Schmidt haben seine Kinder Anja Vieweg, Susanne von Bergen und Michael Schmidt eine informative und reich bebilderte Seite zur Biografie ihres Vaters im Internet veröffentlicht, die derzeit ständig ergänzt und aktualisiert wird: www.babbahesselbach.info

Service PRESSE.INFO, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Feature vom 12.02.2013

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