Liesel Christ Biographie: Umfrage

Ein Glücksfall

Ferry Ahrlé *
 

Eines Tages besuchte mich Liesel Christ mit dem Journalisten Heinrich Heym in meinem Atelier. „Ferry, mir hawe da ne Idee“, brach es leicht frankfurterisch aus ihr heraus. „Wir wolle unserem Dialekt eine Bühne geben. Die Stadt braucht ein Volkstheater.“
Heym und Christ waren Feuer und Flamme.
„Kannst du ein Symbol für unser Theater entwerfen?“

Und ob ich konnte. Auch ich war von der Idee angetan und zeichnete einige Skizzen.
„Des is er!“, rief Liesel begeistert beim nächsten Treffen und meinte meinen Harlekin, um dann etwas zögernd hinzuzufügen: „Aber Ferry, du waaßt doch, mir hawe kein Geld. Biste mit 200 Mark zufridde?“

Es ging nicht ums Geld, sondern um die Idee, und so grüßt mich mein Harlekin bis heute von den Plakatsäulen und den Programmheften. Er begleitete das Theater auf vielen Gastspielen, und in Israel lernte er sogar hebräisch.

Nicht nur für ihr Theater setzte sich Liesel Christ ein, sondern auch für Menschen in Not. Sie besaß eine ausgeprägte soziale Ader. Zu helfen war ihr eine Herzensangelegenheit. Auftritte auf dem Römerberg für karitative Zwecke, für „Leberecht“ auf der Fressgasse mit Jutta W. Thomasius oder für den Wiederaufbau der Alten Oper waren für sie selbstverständlich. Man staunte, wie sie das alles mit ihrer Theaterarbeit vereinbarte.

Auch ich habe so einiges mit ihr unternommen. Wir kämpften gemeinsam für den Wiederauf­bau der Ostzeile auf dem Römerberg, und wir gestalteten Mundartabende im Zoogesell­schaftshaus, an denen Liesel zu meinen Moritatenbildern sang. Bei meinen Faschingsfesten in der „Tangente“, die ich während der siebziger Jahre organisierte und mit Hunderten von Metern Dekorationen ausgestaltete, kamen wir einmal auf eine witzig verrückte Idee. Wir veran­stalteten eine Tombola für die Pariser Clochards, die Liesel leitete. Aus dem Erlös wurde ein großes Fass Rotwein gekauft. Einige Freunde und ich machten uns später auf den Weg nach Paris und lieferten unter den Brücken der Seine aus: Rotwein, Baguette und Käse – sehr zur Freude der Clochards und unserer eigenen.

Fröhlich ging’s auch in der Kunstbuchetage der Buchhandlung Blazek und Bergmann am Goetheplatz zu. Dort veranstaltete der Inhaber, Dr. Hans Bergmann, viele Abende mit Künstlern. Einer davon trug den Titel „Die fünf Frankfurter“ (1972). Gemeint waren nicht die berühmten Rothschilds, sondern Liesel Christ, Heinrich Heym, Prof. Dr. Wolfgang Klötzer, Ernst Nebhut und ich. Es wurde geplaudert, rezitiert und gesungen. Dazu malte ich live ein fantasievolles Bild der Hauptwache.

Dann hatten wir einmal einen ganz besonders originellen Auftritt in der Alten Oper. Zur Erinnerung an ihren Mann, das Londoner Multitalent Gerald Hoffnung, gestaltete die Witwe ein musikalisches Happening. Der Höhepunkt war eine Haydn-Variation vom „Frankfurter Flaschenkonzert“. Ausführende: Liesel Christ, Fußballer Jürgen Grabowski, Moderator Elmar Gunsch, Fritz Dietz, Chef der Industrie- und Handelskammer, Stadtkämmerer Ernst Gerhardt und ich, der Maler. Wir bliesen auf den mit Wasser gefüllten Flaschen, was das Zeug hielt. Zum Schluss fragte mich Liesel erschöpft: „Ferry, haste noch Töne!?“

Ja, so war sie, die Liesel, immer zu einem Scherz aufgelegt, unermüdlich in ihrer Theaterar­beit und unbeirrbar in ihrer Liebe zu Fankfurt. Eben ein Glücksfall für diese Stadt.

Und von ihrem Grabstein auf dem Hauptfriedhof lächelt ihr mein Harlekin zu – ein Lächeln für die Ewigkeit.

* Der Maler und Graphiker Ferry Ahrlé schuf den Harlekin des Volkstheaters, der seit 1971 die Plakate, die Programme und sämtliche andere Druckschriften sowie auch einen der Vorhänge der Bühne im Cantate-Saal ziert.

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