Neue Manager-Generation legt NS-Vergangenheit offen

Große internationale Veranstaltung in Frankfurt am Main

Es ist zum ersten Mal, daß deutsche Unternehmer mit Historikern in einen öffentlichen Dialog treten. Die Veranstaltung „Unternehmen und Unternehmer im Nationalsozialismus" findet nicht zufällig in Frankfurt statt. Denn hier hat das „Centre for European Business History“ seinen Sitz.

Frankfurt am Main (pia) - Eine Veranstaltung dieser Art wäre vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen. „Unternehmen und Unternehmer im Nationalsozialismus“ heißt die öffentliche Tagung, die am 20. und 21. Juni an exponierter Stelle, nämlich im ehemaligen IG-Farben-Hochhaus in Frankfurt, stattfinden wird. Veranstalter ist die in Frankfurt ansässige „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e.V.“ (GUG). Aus den vier Bereichen Banken, Automobilindustrie, Verkehrswesen und Chemieindustrie in der NS-Zeit werden renommierte Historiker in Vorträgen ihre Forschungsergebnisse vorstellen und diese anschließend mit Unternehmern diskutieren.

Die Veranstaltung dürfte auf breites und gewiß auch internationales Interesse stoßen. Denn es ist zum ersten Mal, daß deutsche Unternehmer mit Historikern - darunter auch Kapazitäten aus den USA und Israel - in einen öffentlichen Dialog treten. So wird über die Branche der Automobilindustrie z. B. Professor Hans Mommsen (Oxford) berichten, der kürzlich eine bahnbrechende Studie über „Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich“ vorgelegt hat, und anschließend wird dazu Dr. Klaus Kocks, ein Mitglied des Markenvorstandes bei VW in Wolfsburg, interviewt werden. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse, etwa über den Einsatz von Zwangsarbeitern in Unternehmen wie VW oder Daimler Benz, dürften dabei erstmals einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Von Seiten der Unternehmen werden außerdem u.a. Heinz Dürr für die Deutsche Bahn AG und Dr. Michael Jansen für die Degussa zur Historie Stellung beziehen.

„Noch bis vor kurzem verschlossen die Unternehmen das Material über die NS-Zeit aus Angst vor mißliebigen Enthüllungen fest in ihren Archiven“, sagt der Frankfurter Wirtschaftswissenschaftler Professor Dr. Manfred Pohl, der die Veranstaltung initiiert hat und, zusammen mit dem Frankfurter Historiker Professor Lothar Gall, leitet. „Erst die neue Managergeneration, die nicht mehr zu den Überlebenden des ‚Dritten Reichs‘ gehört, möchte diese Zeit offenlegen, vor einer breiten Öffentlichkeit und insbesondere vor ihren jungen Mitarbeitern, die wissen wollen, was damals in ‚ihrem‘ Unternehmen geschehen ist. Nur wenn man über diese Dinge weiß, kann man dafür sorgen, daß so etwas nicht mehr passiert.“

Einen ersten Schritt zum Dialog zwischen Industrie und Universität unternahm Professor Pohl selbst mit seiner Initiative zu einem „Centre for European Business History“ (Zentrum für europäische Unternehmensgeschichte, CEBH), das im vergangenen Jahr in Frankfurt am Main eröffnet wurde und dem eben die veranstaltende „Gesellschaft für Unternehmensgeschichte“ eingegliedert ist. Seinen Sitz hat das „Centre for European Business History“, unter dessen Dach noch zwei weitere Gesellschaften arbeiten (die „European Association for Banking History“ und die „Society for European Business History“) im neuen Anbau der repräsentativen „Villa Seligman“ im Zimmerweg am Rande des Frankfurter Westends, in direkter Nachbarschaft zu den Großbanken. Dem Centre gehören über 100 europäische Firmen und mehr als 60 Historiker und Unternehmensarchivare aus allen europäischen Ländern an. Alle Zentralbanken, zahlreiche Großbanken und bedeutende Wirtschaftsunternehmen sind darin vertreten. Auch große Frankfurter Firmen, etwa die Philipp Holzmann AG und die Degussa, sind repräsentiert.

Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des „Centre for European Business History“ ist Professor Manfred Pohl, der im Hauptberuf für das Historische Institut samt Archiv der Deutschen Bank verantwortlich ist. In ihrer zum 125jährigen Jubiläum 1995 erschienenen Festschrift hat die Deutsche Bank das Kapitel über ihre Geschichte unter dem Nationalsozialismus aufarbeiten lassen. Anders als in früheren Jubiläumsschriften wird in dem neuen Buch die Rolle der Bank als Handlanger des NS-Regimes nicht verleugnet. Offen wird darüber berichtet, wie die Deutsche Bank damals an der Enteignung jüdischer Unternehmen und der Übernahme von Banken im besetzten Ausland beteiligt war. Das Bemühen um historische Objektivität hat sich gelohnt: Das Werk, das eine Gesamtauflage von über 100.000 Exemplaren erreichte, wurde im letzten Jahr als das weltbeste Business-Buch mit den „Global Business Book Awards“ ausgezeichnet.

Das historische Werk über die Deutsche Bank wurde wegweisend für die Unternehmensgeschichtsschreibung. Daß hausinterne Jubiläumsschriften, in denen die dunklen Punkte in der Firmenvergangenheit möglichst vertuscht werden sollten, nicht mehr zeitgemäß sind, haben inzwischen auch andere Unternehmen erkannt. Ihnen hilft das Frankfurter „Centre for European Business History“ weiter, wenn sie ihre Geschichte aufarbeiten lassen wollen. So rief vor einiger Zeit Heinz Dürr, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn AG, bei Professor Manfred Pohl an und bat ihn um Unterstützung für eine Geschichte über „sein“ Unternehmen und dessen Vorläufer Reichs- und Bundesbahn. Zunächst wurde ein Autorenteam unabhängiger, renommierter Historiker zusammengestellt, dem das Centre die Wege zur Forschung in den Archiven ebnete. Die Redaktion übernahm Pohl selbst zusammen mit Professor Dr. Lothar Gall, der auch zu den Autoren der Deutsche-Bank-Geschichte gehörte. 1999 soll das Geschichtsbuch der Deutschen Bahn AG fertig vorliegen.

Im selben Jahr, pünktlich zur Währungsunion, plant Pohl in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum, dem Institut für Stadtgeschichte und der „European Association for Banking History“ eine Ausstellung über europäische Währungen in Frankfurt. Die Ausstellung soll ein „European Monetary Museum“ (Europäisches Geldmuseum) vorbereiten, das - so Pohl - „in Frankfurt und nirgendwo sonst“ eingerichtet werden müsse. „Als Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB) wird Frankfurt die Heimat des Euro und somit die Mutterstadt des Geldes in Europa“, erläutert Pohl. „Das Archiv der EZB muß ein Sammelplatz des aus allen europäischen Ländern kommenden Materials zur Geschichte des Euro werden.“

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 15 vom 22.04.1997

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