Ein Bett für Cornelia Goethe

Zum Jubiläumsjahr 1999 soll das Frankfurter Goethehaus noch mehr historisches Flair erhalten

Goethes Geburtshaus im Großen Hirschgraben wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut und authentisch rekonstruiert. Dennoch, die Inneneinrichtung läßt an einigen Punkten zu wünschen übrig. So hat man etwa festgestellt, daß in dem Haus kein einziges Bett steht. Auch Vorhänge, Tapeten und vieles andere wurde einem kritischen Blick unterzogen.

Frankfurt am Main (pia) - Es ist, als sei es immer so gewesen. Als ob die Frau Rat gerade nebenan an ihrem alten Küchenherd die Bratensauce abschmecken und der etwa zehnjährige Wolfgang mit seiner anderthalb Jahre jüngeren Schwester Cornelia gleich die breite Sandsteintreppe herunterkommen würde, um sich in der „Blauen Stube“ neben der Küche an den Mittagstisch zu setzen. Im Treppenflur des Frankfurter Goethehauses im Großen Hirschgraben ist die Zeit im späten 18. Jahrhundert stehengeblieben. Die Atmosphäre der Wohn- und Lebenswelt der Familie Goethe erleben hier heute knapp 160 000 Besucher im Jahr.

Seit einigen Jahren arbeitet Dr. Petra Maisak mit ihrem Team daran, das Goethehaus noch authentischer, noch „echter“ eben, wirken zu lassen. Für das Goethejahr 1999 hat sich die Museumsleiterin, die seit 1981 Goethehaus und -museum betreut, daher nicht etwa zum Ziel gesetzt, das Haus in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Vielmehr will sie zum 250. Geburtstag des Dichters den alten Flair des Hauses erhalten, den darin herrschenden „Wohncharakter der Goethezeit“ weiter vervollkommnen.

Im 19. Jahrhundert, als das Freie Deutsche Hochstift das Goethehaus erwarb, war von dessen ursprünglichem Flair kaum etwas übrig. Frau Aja, Goethes Mutter, hatte das Haus nämlich bereits 1795 aufgegeben und dessen Inventar, die Möbel wie die bedeutenden Sammlungen ihres verstorbenen Mannes, größtenteils verkauft. Die neuen Besitzer gingen nicht gerade ehrfürchtig mit dem Haus am Großen Hirschgraben um, verschandelten es durch An- und Umbauten. Als gar eine breite Ladenfront in die Fassade gebrochen werden sollte, griff das Freie Deutsche Hochstift, ein 1859 aus dem Geist der 1848er Revolution gegründeter Verein Frankfurter Bürger, rettend ein: Es erwarb 1863 das Goethehaus und richtete es im Stil der alten Zeit ein.

Bei einem Bombenangriff am 22. März 1944, Goethes 112. Todestag, wurde das Geburtshaus des Dichters völlig zerstört. Aus dem Trümmerhaufen führten nur noch zwei Stufen der einst so herrlichen Treppe ins Leere. Sechs Jahre nach Kriegsende konnte das wiederaufgebaute Goethehaus eröffnet werden. Ernst Beutler, der damalige Direktor des Freien Deutschen Hochstifts, setzte sich unermüdlich ein und erreichte schließlich eine detailgetreue Rekonstruktion. Er achtete sogar darauf, daß jeder Nagel in den Dielenbrettern wieder an derselben Stelle wie früher eingeschlagen wurde. Der Erfolg gab Beutler recht: Das Goethehaus wirkt einfach „echt“.

Dennoch, nicht immer glückte die Nachbildung der historischen Räume. „Das Gemäldekabinett von Goethes Vater beispielsweise sah früher aus wie ein Wohnzimmer, an dessen Wänden zufällig ein paar Bilder hingen“, erzählt Dr. Hans-Georg Dewitz, der seit 1983 als Fremdenführer im Goethehaus arbeitet. Erst im letzten Jahr wurde der im zweiten Stock gelegene Raum nach zeitgenössischen Vorbildern neu gestaltet. Die Gemälde, alle von Frankfurter Künstlern der Goethezeit (wie Seekatz, Juncker, Hirth oder Trautmann), wurden dicht an dicht um eine Symmetrieachse neu an den Wänden angeordnet. Während es früher nur 46 Bilder waren, hängen jetzt 74 dort, alle in den schwarzen Rahmen mit goldenen Innenleisten, wie sie Goethes Vater zu benutzen pflegte. Die Gemälde, die die dezente taubengraue Tapete fast ganz verdecken, bestimmen die Wirkung des Kabinetts. Überflüssige Möbelstücke gibt es in dem Zimmer nicht mehr. All die Tischchen und Sesselchen, die frühere Museumsmitarbeiter aufgestellt hatten, wurden entfernt. Jetzt präsentiert sich das Gemäldekabinett so, wie es Johann Caspar Goethe zur Kinderzeit seines Sohnes Johann Wolfgang angelegt hat.

Im Frühjahr diesen Jahres hat Maisak mit ihrem Team dann die Renovierung des Treppenhauses veranlaßt, weil dort ein neues Sicherungssystem angebracht werden sollte. Das fade Beige der Wände wich dabei einem lichten Gelb, das Grau der Fensterrahmen und anderer Holzteile einem warmen Dunkelbraun - was der ursprünglichen Farbgebung entspricht. „Viele Besucher staunen, wie hell und freundlich nun das Treppenhaus ist“, freut sich Maisak. Aber wenige haben gemerkt, daß das am neuen Anstrich liegt. „Und so soll's auch sein“, meint Maisak. „Es ist gut, wenn's nicht auffällt, daß etwas renoviert wurde.“ Denn das könne nur heißen, daß der Raum jetzt „in sich stimmiger“ wirke.

Nach demselben Prinzip soll demnächst auch das Empfangszimmer im Erdgeschoß erneuert werden, Goethes' „gelbe Stube“, die derzeit als wenig charmanter Warteraum für Gäste dient. Damit das Zimmer seinen authentischen „Wohncharakter“ aus Goethes Zeiten zurückbekommen kann, werden die Mitarbeiter des Goethehauses bald zeitgenössische Möbel aus dem Fundus des Hochstifts kommen lassen und in dem Raum drapieren, um die Wirkung zu testen. Weiter fortgeschritten ist schon die Neugestaltung des Zimmers von Goethes Schwester Cornelia im zweiten Stock. Der Raum wird durch eine neue, leuchtend türkisblaue Tapete in floraler Rokokoornamentik belebt, die nach historischem Muster eigentlich für das Schwetzinger Schloß gedruckt wurde. Dort hat sie Museumsleiterin Maisak für das Goethehaus entdeckt. Vor den Fenstern hängen weiße Musselingardinen mit Tupfen, der Dielenboden wurde in einem warmen Honigton neu versiegelt. Nun fehlt nur noch die Einrichtung. „Ein Spiegel muß natürlich im Zimmer einer jungen Dame hängen“, sagt Goethehauskenner Dewitz.

Noch nicht klar ist dagegen, ob im Corneliazimmer ein Bett stehen wird. Wenn auch hier ein realistischer Eindruck vom ursprünglichen „Wohncharakter“ des Zimmers vermittelt werden soll, müßte es eigentlich selbstverständlich sein, ein Bett dort aufzustellen. Maisak liebäugelt auch sehr mit dieser Idee. Sie sucht jedoch nicht nur einen Sponsor, der den Nachbau eines Bettes im Stil der Zeit finanzieren könnte. Vor allem muß sie sich mit einer merkwürdigen Tatsache auseinandersetzen: Bisher gibt es im ganzen Goethehaus kein einziges Bett. „Viele unserer Besucher wundern sich darüber“, erzählt Fremdenführer Dewitz. Aber niemand kann erklären, warum es bei Goethes keine Betten (mehr) gibt. Vielleicht waren die Museumsdirektoren des 19. Jahrhunderts einfach zu prüde dazu, welche anzuschaffen.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 46 vom 25.11.1997

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