Alte Frankfurt-Fotos wie hingetupfte Aquarelle

Carl Knabenschuhs frühe Experimente mit der Farbfotografie

Pioniergeist muß den Frankfurter Architekten beseelt haben, als er zu Beginn des Jahrhunderts zu seinen Stadtexkursionen aufbrach. Seine „Autochroms“ sind die frühesten erhaltenen Farbaufnahmen von Frankfurt überhaupt. Erst kürzlich gelangten sie in den Besitz des Instituts für Stadtgeschichte.

Frankfurt am Main (pia) - Carl Knabenschuh (1873-1945) war ein echter Freak. Heute würde er wahrscheinlich virtuelle Räume am Bildschirm seines optimal ausgerüsteten Computers entwerfen. Vor 90 Jahren experimentierte der Frankfurter Architekt mit dem allerneuesten Verfahren der Farbfotografie, mit den „Autochromplatten“, die damals, 1907, gerade in den Handel gekommen waren. Knabenschuh investierte ein kleines Vermögen in diese gläsernen Fotoplatten, machte sich mit seiner Kamera auf den Weg und hielt seine Vaterstadt aus allen Blickwinkeln im Farbbild fest.

167 Autochrome, auf denen der Architekt die Stadt am Main in den Jahren von 1910 bis 1913 farbig abgelichtet hat, existieren noch. Sie sind deshalb so kostbar, weil es die frühesten erhaltenen Farbaufnahmen von Frankfurt überhaupt sind. Als besonderer Schatz werden sie seit kurzem im Institut für Stadtgeschichte aufbewahrt, „einer unserer wichtigsten Bildbestände“, wie Tobias Picard sagt. Der Historiker plant, die Bildplatten auf Duplikat-Diafilm kopieren zu lassen, um „vielleicht einmal eine wunderschöne Fotoausstellung zu machen“. Ein Anlaß wäre gewiß Carl Knabenschuhs bevorstehendes 125jähriges Geburtstagsjubiläum in wenigen Monaten am 12. Mai 1998.

Der erste Blick auf die Autochrome im Magazin des Instituts für Stadtgeschichte ist beinahe ernüchternd: Kleine Glasplättchen im Format von 7 x 7 Zentimetern, die in wohlgeordneten Reihen in graumetallenen Archivschubladen stehen. Ihren Charme enthüllen sie erst, wenn man sie als Dias gegen das Licht hält. Da sieht man etwa, wie sich das schwarze Profil eines spitzbärtigen Mannes mit steifem Hut vor dem sandsteinroten Portikus der Hauptwache abhebt oder wie ein kleiner junge im Matrosenanzug mitten im geschäftigen Treiben in der Braubachstraße steht - darüber spannt sich das lichte Blau des Frankfurter Himmels.

Carl Knabenschuh war mehr als ein dokumentarisch arbeitender Fotograf. Er sah die Stadt mit dem Auge eines Malers. So fotografierte er an den verwunschesten Plätze der gotischen Altstadt: in einer Werkstatt in der Kruggasse etwa, wo in einem grauen Winkel rottönerne Blumenscherben fein säuberlich gestapelt sind. Vor dem Brunnen in der Heiliggeistgasse, dessen Figur eine blaßgoldene Schärpe trägt, posieren blonde Mädchen in weißen Rüschenkleidern. In einer Apfelweinwirtschaft wippt auf der eichenen Theke der riesige blaue Bembel im „Faulenzer“, um das gelbgoldene "Stöffche“ in ein geripptes Glas zu schenken. Die Bilder in den wie hingetupft wirkenden Pastelltönen strahlen eine eigenartige Poesie aus. Sie wirken wie etwas verblaßte pointillistische Aquarelle. Und das ist kein Zufall. Unter künstlerischen Gesichtspunkten entspricht die Autochromtechnik nämlich dem Pointillismus, einer Farbaufgliederung, wie sie Seurat und die Neoimpressionisten in der Malerei zu Ende des vorigen Jahrhunderts erarbeitet hatten.

Die Technik, ein umständliches und kostspieliges Verfahren, wurde von den Brüdern Louis und Auguste Lumière in Frankreich entwickelt: Kartoffelstärke-Körnchen von 15 bis 20 tausendstel Millimetern wurden in den Farben Orange, Grün und Violett eingefärbt. Die drei verschiedenfarbigen Pulver wurden gemischt und mit einem Dachshaarpinsel auf einer dünnen Glasplatte verteilt, die zuvor mit einem klebrigen Überzug bedeckt worden war. Wichtig war, daß die Körner sich berührten, ohne sich zu überdecken. So erhielt man eine Schicht, auf der jeder Quadratmillimeter Oberfläche zwei- bis dreitausend bunte Farbelemente enthielt. Mit einer Bromsilber-Gelantine-Emulsion versehen, entstanden beim Belichten eben jene winzigsten Farbtupfen, die so charakteristisch für diese frühen Farbfotografien sind.

Wenn der Architekt Knabenschuh das Stativ und die Farbkamera schulterte und zu seinen Stadtexkursionen aufbrach, mag er sich vorgekommen sein wie jemand, der Neuland erkundet. Pioniergeist beseelte ihn ohnehin. So nahm er 1914 als Mitinitiator und „Expeditionsphotograph“ an einer Nordpolexpedition teil. Die von dem in Frankfurt ansässigen Polarforscher Theodor Lerner geleitete Expedition wurde mitfinanziert vom Magistrat der Stadt Frankfurt, der Senckenbergischen Gesellschaft und dem Zoo. Ziel war es, Tierpräparate zu holen. Das Unternehmen, bei dem Knabenschuh jedoch nicht in Farbe, sondern in Schwarz-Weiß fotografierte, mußte wegen des Kriegsausbruchs nach wenigen Monaten abgebrochen werden. Knabenschuh faszinierte auch die „Internationalen Luftschiffahrts-Ausstellung“ in Frankfurt 1909. Seine rund 30 Autochrome von diesem Ereignis zählen mit zu den wichtigsten Exponaten der Sammlung.

Nach dem Tode Knabenschuhs 1945 blieben die Fotografien, in Holzkisten verpackt, mehr als vier Jahrzehnte auf dem Dachboden eines Neffen in Frankfurt liegen. Michael Schroeder, Freund der Familie und Lektor beim Insel-Verlag in Frankfurt, wurde gebeten, sie sich einmal anzusehen. An einem heißen Sommertag stieg er auf den Dachboden. „Ich hielt die ersten Platten gegen das Licht der Dachluke und war überrascht. Ich war sofort total begeistert von den Sachen und wußte, damit muß etwas geschehen.“ 57 Aufnahmen hat er ausgewählt, auf Papier abziehen lassen und in einem Buch zusammengestellt. Das sorgfältig ausgestattete und kommentierte Werk erlaubt nun jedem zumindest einen Eindruck der Frankfurter Sammlung, die in ihrem Umfang und ihrer Geschlossenheit einmalig sein dürfte.

Sabine Hock

Wochendienst, hg. v. Presse- und Informationsamt der Stadt Frankfurt am Main, Nr. 50 vom 23.12.1997

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